Autor: Elke Erben

  • Interview mit Kristin Kunze – 30.04.2021

    Der Weltlachtag fällt in diesem Jahr auf den 2. Mai – und bietet Anlass für einen Besuch im Institut für Humorforschung bei Kristin Kunze. Vor dreißig Jahren hat die Zahnärztin Dr. Kristin Kunze ihre Praxis in Engelskirchen verkauft und fühlt seitdem als Clownin Sophia Altklug ihren Mitmenschen sehr viel tiefgründiger auf den Zahn. In dieser Rolle kommt sie den Menschen noch näher, spürt sensible Punkte, manchmal auch Defekte auf und weist Wege der Besserung und Vorsorge. So ist sie ihrer eigentlichen Profession, dem Dienst am Menschen, immer treu geblieben.


    Erste Schritte – Über welches Projekt sprechen wir heute?

    In diesem Corona-Jahr braucht der Mensch am Weltlachtag besondere Zuwendung – stellt doch auch das Lachen in der Öffentlichkeit und in Gruppen ein Ansteckungsrisiko dar und gehört geradezu verboten! Aber gibt es so auch ein Berufsverbot für den Humor? Nein! Lautes Lachen passiert zwar meist in Gemeinschaft – und wer nicht mitlachen kann, fühlt sich ausgeschlossen. Wer viel mit sich alleine ist, kichert oder schmunzelt eher. Aber den Humor im eigentlichen Sinne kann man in jeder Situation erleben. Humor bedeutet das Fließen der Temperamente, der Stimmung in jeder Tonlage, zu der der Mensch fähig ist. Diese Lebensenergie lässt uns bei Gelegenheit auch lachen, aber das Lachen ist nur eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten.

    Mein aktuelles Projekt gestalte ich als Praktikum: Ich spüre dem Flow nach, in den ich gerate, wenn ich praktisch tätig bin. Im Garten, im Schweinestall oder beim Malen und Singen vergesse ich die Zeit, vergesse ich mich selbst – und finde gerade dadurch zu mir selbst. Ich lerne, dass nicht mein Wollen zum Ziel führt, sondern das Warten auf das, was kommt. Ich erlebe, dass ich vertrauen kann auf die Zeit, die nach vorne keine Begrenzung hat.

    Ich formuliere gerade nicht ein ganz großes Projekt, sondern entdecke, dass ich mit viel Gewinn die Zeit so annehmen kann, wie sie auf mich zukommt. JETZT ist meine Lebenszeit! Ich warte nicht, bis alles wieder „normal“ ist. Jetzt gerade findet mein eigentliches Leben statt – auch wenn es nicht mehr das ist, von dem ich gelebt habe!

    Corona hat viel unterbrochen. Meine Reisen in Entwicklungsländer und meine Tätigkeit dort als Zahnärztin sind nicht möglich. Ich vermisse meinen Sport, das Turmspringen! Diese einundeinhalb Sekunden Glück vor dem Eintauchen ins tiefe Wasser, das Erleben eines gelungenen Sprungs sind der Luxus, den man nur in geöffneten Schwimmbädern erleben kann. Aber dafür steht die Clownin vor Herausforderungen, die sie kennt und immer neu suchen muss: Sie muss über immer neue Hindernisse hinwegstolpern, wieder aufstehen, wieder ihre Balance finden, wieder das Gleichgewicht verlieren – jetzt wird’s ernst mit dem Humor!

    Eigentlich ist die Antwort schon da, bevor ich die Frage stellen muss: Der Weg ist das Ziel!?

    Ja! Aber der Aufbruch gehört unbedingt dazu! Ich muss mich auf den Weg machen, brauche Betätigung, Kreativität. Und dieser Weg ist auch keinesfalls ziellos: von meinem Bedürfnis werde ich in eine Richtung gezogen, einem Ziel entgegen, das ich noch nicht kenne. Wenn ich einen Zaun für das Gehege meiner Schweine brauche, muss ich nach Möglichkeiten suchen, ihn auch zu bauen – am besten so, dass er ausbruchsicher ist!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg?

    Jeden Tag geschieht etwas Neues! Ein Schritt ergibt den nächsten und durch das Fortschreiten findet immer wieder ein Perspektivwechsel statt. Immer wieder erlebe ich: Ich weiß noch längst nicht alles – noch so viel Weg liegt vor mir! Die Clownin in mir probiert immer wieder aus, was eigentlich unmöglich scheint – und der Lohn ist dieser eine Moment, in dem ganz leicht gelingt, was vorher unüberwindbar schien. – Zum Beispiel habe ich gemeinsam mit einer Freundin eine gewaltige Schweinehütte aus Beton über eine beachtliche Strecke bewegt, weil uns eingefallen ist, sie über Zaunpfähle rollen zu lassen. Ein magisches Bild: zwei schmale Frauen und ein schwebender Betonklotz!

    Eine Clownin probiert nicht nur für sich selbst, sondern auch, weil sie andere an der Überraschung des Augenblicks teilhaben lassen will. Welche Rolle spielt im Moment der Gedanke an ein Publikum?

    Die schwarze Clownfigur, die auf tiefe Verzweiflung, Einsamkeit und Depression reagiert, übt im Moment die größte Faszination auf mich aus. Diese Figur tritt auf in der Resonanz auf Angst und Ratlosigkeit. Wird alles immer weniger? Wird alles verboten? Wie geht es weiter? Meine Aufgabe ist es, Beispiele und Methoden zu sammeln, die Auswege aus diesem Gedankenkarussel zeigen können, die eine neue Tür öffnen. Der Gegenpol zu der weit verbreiteten Angst ist Liebe – also Geben und Nehmen, In-Verbindung-Sein, gemeinsame Schwingung. Was kann ich geben? Welchen Ausweg kann ich vorleben?

    Als Clownin kann ich noch deutlicher auf die Bühne tragen, was ich als Mensch versuche zu leben: Die Bewegung, das Auf und Ab der Gefühle, die Vielfalt des täglichen Lebens annehmen können und damit auch erkennen, dass sich alles jederzeit ändern kann. Ich nutze die Freiheit, die Perspektive zu wechseln, um die Erstarrung aufzuheben. Ich nutze meine Freiheit, um meiner Stimme, meinem Körper Raum zu verschaffen, um die Stille der Einsamkeit mit Klang und neuer Bewegung zu füllen.

    Wer als Künstlerin im Moment auf den Applaus vor der Bühne wartet, lebt gefährlich! Mein Publikum sind im Moment die Menschen, die mich im Alltag umgeben. Das Leben findet JETZT statt! Wir können nicht darauf warten, dass alles wieder anders wird.

    Die Spieldose

    Welche Begegnung hat dich in der letzten Zeit besonders berührt?

    Eine Freundin schenkte mir einen Kalender von Albert Schweitzer. Beim Durchblättern fühlte ich mich zurückversetzt in meine Studentenzeit, als ich zum ersten Mal im Albert Schweitzer Hospital in Gabun als Zahnärztin gearbeitet habe. Ich warte darauf, diese Einsätze bald wieder machen zu können. Das ist natürlich einmal eine sehr unmittelbare, bedeutende medizinische Unterstützung in Ländern mit wenig Infrastruktur. Durch die Behandlung darf ich den Menschen in besonderer Weise nah sein. Medizinische Hilfe wird dabei meine Gegenleistung für das Erlebte.  – Mit dem Rückblick auf meine Tätigkeit wurde mir klar, dass ich aus diesen Erfahrungen die Grundlagen meiner Clownsphilosophie mitgenommen habe: Im Ausland muss man eine bisher vertraute Aufgabe mit neuen Augen sehen, sie vor dem Hintergrund einer neuen Kultur neu buchstabieren. Und WIR sind quasi alle im Moment „im Ausland“, in einer neuen Situation, die auch viel Unsicherheit mit sich bringt. Wir alle müssen über den Tellerrand gucken und dazulernen.

    „Wir marschieren in der Nacht. Das einzige Licht auf unserem Weg ist, unserem Herzen und dem Gesetz der Liebe zu folgen. Das innere Licht ist, Ehrfurcht vor allem Leben zu haben.“  Dieses Zitat von Albert Schweitzer passt wie ein Schlüssel zu einer Tür, die auch den Ausweg aus der Angst öffnet. In dem Wort „Ehrfurcht“ finde ich die Ehre und die Furcht, den Respekt vor allem Leben. Dabei bin ich selbst nicht die einzig Wichtige! Aber ich gehöre dazu, wenn ich das Glück habe, den Zugang zu diesem Weg zu finden!

    Und wie geht es weiter?

    In meinem Humorforschungsinstitut unterscheide ich drei Formen von Freude: die Vorfreude, die Hauptfreude und die Nachfreude. Und die Vorfreude kann mir niemand nehmen! Ich mache Pläne, zum Beispiel für eine Reise nach Juist, ich habe Hoffnung – und die Freude daran ist gerade schon passiert – unvergänglich!  – Und ganz praktisch steht das Einüben einer neuen Gangart auf meinem Trainingsplan: das Rückwärtsfahren auf dem Pedalo!

    ​Ich danke sehr für das Gespräch
    Katja Gerlach

    https://www.sophiaaltklug.de/

  • Interview mit Karsten Haider – 15.04.2021

    Eintreten und eintauchen in eine vielfach verschachtelte Welt, die Schätze offenbart, die man so mitten in Ründeroth kaum erwartet: Augenschmaus und haptisches Vergnügen bietet gleich am Eingang eine Sammlung alter Buchbinder-Werkzeuge. Die Fülle an Eindrücken und Bildern fordert geradezu auf, die Geschichte des Bewohners und seiner facettenreichen Kunst zu ergründen.


    Karsten Heider hat gemeinsam mit Anke Ahle im vergangenen Oktober die Ausstellung im Baumwolllager zur Ründerother Geschäftsbücher-fabrik Gustav Jaeger zusammen-getragen und dort künstlerische Handeinbände der Meister der Einbandkunst präsentiert.

    Ausstellungsstücke aus der alten Bücherfabrik liegen und hängen nun griffbereit in den Räumen des Antiquariats Peter Ibbetson und in seiner Buchbinderwerkstatt. Durch langen Gebrauch liegen die Griffe geschmeidig in der Hand, der Achatglättzahn zur Goldschnittherstellung fällt der Betrachterin nicht nur durch seinen Namen sofort wieder auf – Scheren in zupackenden Größen für Leder, Stoff und Papier hängen an einem Eichenbalken, in großen Schubladen lagern historische Prägeschriften aus Messing, Jugendstil-Vignetten und unzählige Schmuckelemente und warten darauf, auf Ledereinbände geprägt zu werden. Spindelpressen, Gewichtsteine, Prägepresse und Schneidemaschine finden in jeder Ecke ihren Platz. Pappen und Papiere, klanghartes Roma-Bütten, ein handgefertigtes, hochwertiges Baumwollpapier, das sich wie rauer Stoff anfasst, samtiges Nepal Papier, Pergament, Oase-Ziegenleder und Kabeljauleder, aber auch glatt geschliffene Holzstückchen – das ist eine Auswahl des Materials, mit dem Karsten Heider arbeitet, wenn er sich seiner künstlerischen Tätigkeit, der Einbandkunst, widmet.

    Erste Schritte – wie kamst du dazu, dich nicht nur als Antiquariats-buchhändler mit Büchern zu beschäftigen, sondern sie auch als Kunstobjekt zu gestalten?

    Die Hinwendung zur künstlerischen Tätigkeit als Buchbinder lag eigentlich auf dem Weg. Schon als Kind war ich fasziniert von der Ästhetik der Geschäftsbücher, vor allem der Marmorschnitte, die mein Vater als Buchbinder in der Ründerother Bücherfabrik Jaeger herstellte. Das Interesse an Gestaltung und Illustration und meine eigenen künstlerischen Fähigkeiten waren früh geweckt. Aber erst später lernte ich von meinem Vater, Schuber für Bücher meiner Sammlung herzustellen – damit war der erste Schritt zur Arbeit in dem Handwerk des Buchbinders getan. Darauf folgte das Interesse an der eigenen künstlerischen Gestaltung der äußeren Form des Buchs. Als ich dann mit dem Umzug nach Ründeroth vor sieben Jahren auch die Werkstatt meines Vaters übernahm, war das sicher der entscheidende Schritt, nicht nur die Technik des Buchbindens immer weiter zu verfeinern, sondern vor allem mit Farben und Material zu experimentieren.

    Gab es von Anfang an ein Ziel? 

    Einmal angefangen, war schnell klar, dass die Buchbinderei einen immer größeren Raum einnehmen würde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass die Kunst nicht zum Broterwerb werden sollte. Als Antiquar beobachte ich, dass sich das Interesse der Sammler ändert: Das Interesse an Werk- und Erstausgaben nimmt ab; stattdessen gewinnt der Objektcharakter des Buchs an Bedeutung. Bei den zum Teil skulpturalen Einbänden überwiegt oft der ästhetische Ausdruck – das Interesse an Autor und Inhalt ist teilweise sogar nachgeordnet. – In dieser Hinsicht unterscheiden sich meine Auswahl und mein Vorgehen!

    Wie gestaltet sich dein Weg?  

    Natürlich finde ich es auch reizvoll, Bücher in außergewöhnlichen Formaten, zum Beispiel bibliophile Drucke mit Original-Grafik zu binden. So arbeite ich gerade an „Das Schöne“, einer Festgabe für Karl Klingspor, mit einer ungewöhnlichen unsymmetrischen Deckelform, die auch noch eine besondere Herausforderung an den Bau des Schubers stellen wird! Neben der Ästhetik der Form spielt aber bei der Auswahl immer auch der Inhalt eine große Rolle. Der „Golem“ von Gustav Meyrink mit seinem dunklen reliefierten Einband und den mit einer alten Tapetenmusterrolle handgefertigten Vorsatzpapieren verweist auf die Kulisse eines düsteren Prag. Der Einband von Grimms Märchen zeigt einen Baum – tief verwurzelt, mit breitem Stamm und giftgrünem Laub – als Hinweis auf Hexenkunst und magische Elemente.

    „Das Märchen“ von Novalis ist verpackt in einer Traumlandschaft. „Dracula“ und „Frankenstein“ verbreiten schon durch die farbige Gestaltung des Einbands Grusel. Dracula zeigt eine applizierte rote Zunge aus Straußenbeinleder am Rücken – Frankenstein ziert eine grob zusammengenähte Narbe. – Aktuell entferne ich mich aber von den Anfängen meiner „wilden“ Zeiten und arbeite mit reduzierter Formen- und Farbensprache. So etwa bei Schillers „Wallenstein“ oder Goethes „Römischen Elegien“.

    Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg? Und was die größte Überraschung?

    Wenn die Vorstellung und die Realisierung übereinstimmen, wenn das Werkstück rundum gelungen ist, bedeutet das natürlich ein besonders großes Vergnügen – das man allerdings nicht allzu häufig erlebt. Überraschungen sind häufiger: Gerade wenn etwas vermeintlich schiefgeht, entsteht oft erst Neues. Der gut geplante Weg, der unbeirrt zu Ende verfolgt wird, ist gar nicht immer der Königsweg. Erst wenn man etwas neu bedenken, verändern, vielleicht sogar zerstören muss, kann man über sich selbst hinauswachsen. Neues entsteht nur dadurch, dass man zulässt, nicht alles selbst zu steuern.

    Kunst braucht Publikum – braucht Kunst Publikum? 

    Natürlich zeige ich gern! Ich freue mich über die Gelegenheit zu Ausstellungen und zu Präsentationen im Internet und auf Messen. Dort kann mich jeder sehen, der mich sehen will. Aber meine Kunst hat vor allem Wert für mich. Daher sind meine Werke auch nur sehr selten verkäuflich.

    Und wie geht es weiter? 

    Ich hoffe, dass es noch lange weitergehen kann! In der künstlerischen Arbeit erfahre ich nicht nur tiefe Zufriedenheit, sondern auch, dass der kreative Prozess ungeheuer viel Energie braucht!

    Angedacht ist tatsächlich eine Ausstellung gemeinsam mit dem Wuppertaler Buchkünstler Roger Green über ein besonderes politisches Thema in der Buchkunst: „Holocaust-Art“ beschäftigt sich mit Illustrationen und Texten von Überlebenden, aber auch mit zeitgenössischer Kunst, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Dabei geht es darum zu zeigen, dass Erinnern auch ästhetisch sein darf! Wenn man das Erinnern nur auf den Schrecken der Geschichte verkürzt, missachtet man die Bedeutung der ästhetischen Gestaltung, die aber oft eine ganz eigene Wichtigkeit hat. Ein Beispiel ist das Buch von Bernard Aldebert „Chemin de croix en 50 stations – de Compiègne à Gusen II en passant par Buchenwald, Mauthausen, Gusen I“.

    Die handbemalten Leinendeckel sind mit einer Schusterraspel geprägt und mit einem Hammer traktiert worden, um den Versuch der Zerstörung im KZ auch haptisch erfahrbar zu machen. Ein anderes Buch zu dieser Reihe ist „Chansonnier à Buchenwald. Chanoir“ von 1949. Auf dem steingrauen Lederdeckel habe ich ein stilisiertes Zitat aus einer Lithographie aus dem Buch übernommen, das den Schlafsaal eines KZ zeigt. Bei dieser Arbeit stellt sich die Frage nach der Wirkung ganz neu.

    ​Für ein sehr intensives Gespräch bedanke ich mich.
    Katja Gerlach

    Weitere Infos: http://www.antiquariat-peteribbetson.de

  • Interview mit Heike Bänsch – 09.04.2021

    Schauspielerin, Regisseurin und Dozentin

    Das Publikum des Alten Baumwolllagers wird sich erinnern an die Aufführung von „Paradiso“, die im vergangenen Oktober zu sehen war. Aber nicht nur die Bühne ist Heike Bänschs Wirkungsstätte, auch im Freilichtmuseum Lindlar lädt sie zu szenischen Führungen durch die Geschichte ein.

    Als Coachin arbeitet sie mit Menschen unterschiedlicher Berufssparten an Sprache und Auftreten. Theater machen heißt für sie nicht nur selbst schauspielern, sondern vor allem auch Ideen entwickeln, selbst Regie führen. Im Interview begegne ich einer Frau voller Energie, die noch viele kreative Seiten an sich und anderen entwickeln will – und das auch gerne zeigt!

    Erste Schritte – über welches Projekt sprechen wir heute? Und was war die Motivation zu diesem Vorhaben?

    ​Wir sprechen über die kurz vor der Uraufführung stehende multimediale Aufführung mit dem Titel Vibrationen. – Die Entstehungsgeschichte zu dem Stück liegt schon etwas zurück – historisch VOR Corona! Mich hat die Frage beschäftigt, inwieweit der Klang der Stimme schon Botschaft ist. Stimme ist Musik, Rhythmus – und wenn man, wie es so schön heißt, Musik auch ohne Worte versteht, wirkt dann der gesprochene Text auf der Bühne allein schon durch den Klang, die Melodie? Versteht man auch ohne Verstand der Wörter? Welche Emotionen und Schwingungen erreichen uns, bevor wir das Denken einschalten? Ich habe es ausprobiert – zunächst mit einem martialisch wirkenden, wortmächtigen Text aus Kleists Penthesilea. Zu dem von mir gesprochenen Text hat Meike Astor sich bewegen lassen, sie hat den Klang der Stimme intuitiv umgesetzt in Tanz. Dann hat Kristin Kunze sich in ihrer Rolle als Clownin den Vibrationen des gesprochenen Wortes ausgesetzt und dazu improvisiert.

    Es ging darum zu sehen, wie die angesprochenen Künstlerinnen sich in Schwingung versetzen lassen, einen neuen, körperlichen Ausdruck finden, ohne Inhalt und Sinn vermitteln zu wollen.

    Das NRW Künstlerstipendium gibt mir die Gelegenheit, diesen Vibrationen weiter nachzuspüren, sie auf die Bühne zu bringen. In Coronazeiten sind Vibrationen außerdem ein wunderbares Mittel, negative Energie nach außen zu tragen und loszuwerden! – Der Beginn der Proben fiel übrigens tatsächlich zusammen mit dem zweiten Lockdown im November, so dass der erste Austausch digital stattfand. So haben wir zusammengetragen, wie jede und jeder von uns auf das Zeitgeschehen reagiert, haben in Resonanz auf die Beiträge der anderen zu immer dichteren Vibrationen gefunden. Klar war auch, dass eine mögliche Aufführung nicht nur analog, sondern auch digital geplant sein muss – Corona lässt nur weit offene Pläne zu!

    Gab es von Anfang an ein Ziel? Oder ist der Weg das Ziel?

    Die beeindruckende Entwicklung unserer gemeinsamen Arbeit von November bis Mai ist ein Schatz an sich! Allein der sich gestaltende Aufbruch zu einer gemeinsamen Truppe war voller Überraschungen. Jetzt arbeiten wir mit Kreativen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen: Meike Astor bringt Körperausdruck auf die Bühne, Volker Wurth Tanz, Nico Walser und Philipp Astor Musik, Kai Mönnich Film, Kristin Kunze und ich selbst Schauspiel. Unser gemeinsamer Weg hat aber durchaus ein Ziel: Wir wollen uns zeigen! Wir freuen uns auf die Aufführung!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg?

    Alle haben JA gesagt! Meine Idee wurde angenommen! Die Halle 32 hat uns die Türen für Proben geöffnet! Die Presse kam! Gerade in einer Zeit, in der negative Nachrichten überwiegen, bin ich dankbar und glücklich über so viel erlebte und geteilte Freude. Man darf unter allen Umständen darauf vertrauen, dass die Sendung, das, was man mitteilen möchte, ankommt und einen Raum findet.

    Kunst braucht Publikum. Welchen Raum nimmt dieser Gedanke ein?

    Unsere Aufführung erzählt keine Geschichte, sondern ist eine Entdeckungsreise über das Empfinden in dieser besonderen Zeit. Künstlerinnen und Künstler zeigen, wie sie in Schwingung versetzt werden. Jeder künstlerische Ausdruck füllt seinen eigenen Raum, spricht andere Sinne an, weckt andere Resonanzen.

    Das Publikum ist eingeladen, mitzuschwingen! Lasst euch berühren! Seid bewegt!


    Welche Begegnung war besonders prägend und hat vielleicht gar das zuerst angepeilte Ziel verändert?

    Meine erste Idee war, das gesamte Stück in den digitalen Raum zu verlegen. Aber dann traf ich auf Menschen, die so gar nicht in diesen Raum passten, sich dort nicht so zeigen konnten, wie es ihren Möglichkeiten angemessen ist! Ganz wichtig war aber, jeden Einzelnen mitzunehmen, ihn – oder sie – nicht einzuengen und auszuschließen, sondern den Blick auf neue Gestaltung zu weiten.

    Also musste der Rahmen geändert werden: Es entstand ein Zusammenspiel von analoger und digitaler Welt. Wir mussten Räume finden, wo vorher keine Räume waren.

    Und wie geht es weiter?

    Wir fiebern der ersten Durchlaufprobe des nun entstandenen Stücks entgegen! Was zeigt sich? Was muss vielleicht noch verändert werden? Und dann: Wo werden wir aufführen? Wie werden wir zu sehen sein? Zunächst nur digital im Livestream? Irgendwann mit Publikum? Wir vibrieren in Resonanz auf das Zeitgeschehen. Überraschenden Wendungen begegnen wir und finden unsere Ausdrucksmöglichkeiten.  Mehr Zeitgeist geht nicht!

    ​Vielen Dank für das Gespräch!
    Katja Gerlach


    Interesse geweckt? Hier gibt es noch mehr Ideen!

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    kontakt@heikebaensch.de

  • Interview mit Detlef Weigand – 19.03.2021

    Über welches Projekt sprechen wir heute?

    Angestoßen von Ereignissen um mich herum, arbeite ich eigentlich immer an mehreren Projekten gleichzeitig. In meiner Kunst begegnen sich Umstände, über die man sich ereifern, gegen die man antreten muss, meine wütende Kritik einerseits und mein Vergnügen an Humor und Blödelei andererseits. Beides zusammen begründet letztlich auch Hoffnung auf Veränderung. – Das vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt „Mea Donna“, an dem auch Manuele mitgewirkt hat, ist nach wie vor aktuell und wird auch weitergeführt.

    Gab es von Anfang an ein Ziel?
    Oder wurde der Weg zur wichtigsten Überraschung?

    „Mea Donna“ thematisiert den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Die Bilder sind im Grunde verfremdetes pornographisches Material mit dem Hinweis auf das Thema, mit dem sich die Kirche auseinandersetzen muss. Dass wir die Ausstellung in der St.Thomae Kirche in Soest zeigen konnten und dazu noch die volle Unterstützung des Geistlichen bekommen haben, war eine Bestätigung, mit der nicht unbedingt zu rechnen war. Meine Kunst ist keine Wohlfühlkunst. Sie bedient zwar ästhetische Erwartungen auf den ersten Blick, aber nur, um dann umso heftiger Wirkung zu entfalten – ein „smash in the face“! – Umso mehr freut es mich, wenn die Einladung zur Auseinandersetzung aufgenommen wird – durch Ablehnung und Kritik einerseits, durch Anerkennung und Begreifen andererseits. Als Mary Bauermeister mein „Follow the Gottgeruch“ ohne eine Sekunde zu zögern erwarb, es dann dem Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen als Leihgabe übergab, war ich über diese Anerkennung und Aufmerksamkeit sehr erfreut. Solche Wegmarken kann man nicht planen, aber sie sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Ziel: Lasst euch berühren! Seid angefasst! Setzt euch auseinander!

    Worin liegt die größte persönliche Zufriedenheit auf dem Weg?

    Im kreativen Prozess ist es mir wichtig, mich nicht selbst zu zensieren. Wenn das gelingt, wenn ich mich ganz diesem Schaffen hingeben kann, erlebe ich eine Erweiterung meiner Selbst. Ich kann über mich hinausgehen in einem Maße, das vorher nicht abzusehen war. Das wiederum spüre nicht nur ich, sondern auch der Betrachter – etwa bei dem Bild „Follow the Gottgeruch“. Ich habe beide Hände in zwei Liter leicht geronnenem Ochsenblut gebadet, habe die Madonna zwischen diese blutverschmierten Hände genommen und bin hinsinkend an der Leinwand heruntergerutscht – noch mehr: ich bin beinahe in dieses Bild hineingefallen. Diese Dynamik atmet das ganze Werk aus!

    Natürlich offenbart ein kreativer Prozess die ganze Fülle der Emotionen und Themen, die sich in dem Künstler verbergen. Die „Dadaistische Volkskunst“ ist beispielsweise schon vor Corona entstanden, aber in der letzten Zeit habe ich da noch intensiver gearbeitet. Im Lockdown habe ich mich zu kleineren Formaten hingezogen gefühlt, die eher ein Ausdruck von Spontaneität sind und durchaus eher in Humor enden. So ist eine ganze Reihe von mit Assemblagen verfremdeten Kotztüten von AirBerlin entstanden, die beispielsweise das Drama ums Klopapier thematisieren – und die sich zu meiner größten Zufriedenheit auch in Coronazeiten übers Netz gut verkaufen lassen!

    Was prägt deine Beziehung zu deinem Publikum?

    Meine Kunst will nicht gefallen, sondern fordert Auseinandersetzung! Dabei geht es mir durchaus nicht nur um Krawall oder Provokation – ich will Aufmerksamkeit für ein Thema! Es überrascht mich immer wieder, mit wie viel Emotion das Publikum auf meine Arbeit reagiert. Das reicht von blanker Ablehnung bis hin zu großer Betroffenheit, die im Betrachter oft zutiefst Persönliches auslöst. Meine Assemblagen sind nicht im klassischen Sinne schön, erreichen aber jeden auf eine ganz eigene Weise.  Sie sind wahre Assoziationsschleudern für den Betrachter!

    Gibt es prägende Ereignisse, die Einfluss auf deinen Weg genommen haben?

    Die Zeiten ändern sich, der Weigand bleibt! Wichtig ist es, authentisch zu bleiben. Zeitkritik und Humor bleiben Konstanten, das Format ändert sich. Corona fordert neue Wege von den Kunstschaffenden, damit sie einerseits weiter im kreativen Prozess bleiben und andererseits weiter verkaufen können! So habe ich mich in der letzten Zeit vielfach mit kleinen Formaten beschäftigt.

    ​Und die nächsten Schritte?

    Das begonnene Förderprojekt „Mea Donna“ wird weiter verfolgt. Hier wie bei allen anderen Projekten geht es immer ums Ganze, um existenzielle Themen. Die Menschen sind mir immer ein Rätsel – und ich mir selbst auch! Dadurch gehen mir nie die Themen aus.

    Hier gibt es mehr zu sehen von Detlev Weigand

    detlev.weigand07@web.de

    https://www.facebook.com/detlev.weigand07

    https://www.facebook.com/Oberstaatskuenstler

    https://www.facebook.com/MEA-Donna-127059640753748

  • Interview mit Manuele Klein  – 19.03.2021

    Erste Schritte:
    Über welches Projekt sprechen wir heute?

    Im vergangenen Jahr habe ich die Bühnenbilder für die Aufführung des „Golem“ auf der Bühne des Bensberger Puppenpavillons von Gerd Pohl überreicht. Bis heute konnte die Aufführung wegen der Schließung des Theaters nicht aufgeführt werden. Corona hat das kulturelle Leben schwer getroffen, betrifft uns alle. Vorgewarnt waren wir seit langem – unternommen worden ist wenig, um ein solches Ereignis abzuwenden oder abzumildern. Wir haben nicht aufgepasst! Dieses Gefühl habe ich nicht nur im Angesicht der Pandemie, sondern auch, wenn ich aus dem Fenster schaue. Der Wald schwindet zusehends, ein schleichender Prozess, der vor Jahren begonnen hat und uns jetzt deutlich vor Augen steht! Mit diesem Verschwinden unserer Landschaft beschäftige ich mich in dem Projekt NUR N(AT)UR NUR.

    Gab es von Anfang an ein Ziel am Ende des Wegs,
    war der Weg der Auftrag?

    Mein künstlerischer Beitrag steht für das notwendige Handeln aller: Ich kann mit meinen Mitteln hinweisen auf das Verschwinden des Waldes, der Natur. Mein Werk kann der stellvertretende Aufschrei des Entsetzens über den Zustand unserer Umwelt sein. So geht es nicht weiter!

    Schwarz-Weiß-Fotografien auf Papier mit Trauerrand zeigen die Reste des Waldes, das, was noch übriggeblieben ist. Die Fotografien mussten nicht bearbeitet werden, die Realität ist eindringlich genug. Die Einfassung als Trauerbrief macht deutlich, dass wir an der Schwelle von Abschied und der Suche nach einem Neubeginn, aufbauend auf der Erinnerung, sich öffnend für neue Wege, sind. Sowohl auf den Fotoarbeiten als auch in großformatigen Gemälden spielt das lichte Weiß eine bedeutende Rolle. Es gibt Hoffnung! Es gibt Zukunft – aber wir müssen sie gestalten, wir müssen dafür arbeiten! – Besonders gut sieht man das an den Skulpturen, in denen aufgesammelte Holzscheite, zerfetzt von Kettensägen, gekittet mit Glasscherben, bearbeitet mit Acryl und Lack zu neuem Leben erwachen: die Holzreste werden zu einer apokalyptischen Kulisse für spielerisch agierende Menschlein, die sich in dieser neuen Realität einrichten.

    Welche Erfahrung hat dich auf dem Weg persönlich am meisten beeindruckt?

    Als Künstlerin hat mich wieder einmal die Energie beeindruckt, mit der die Kunst selbst auf mich einwirkt: die Kreativität hält mich über Wasser! Ich erlebe die Kunst als schöpferischen Prozess, bei dem auch die Vergänglichkeit den Anstoß geben kann für den schöpferischen Umgang mit dem, was übrig bleibt.

    Was ist deine wichtigste Botschaft an das Publikum?

    Genau das will ich weitergeben: Seht hin! Erkennt die Notwendigkeit des Handelns! Aber eben auch: in allem Untergang setzt sich letztlich das Licht durch. Es gibt neue Wege, die wir aber erschließen müssen, für die wir arbeiten müssen. Dabei sollten wir uns aber unserer Grenzen bewusst sein: Der Mensch ist nicht der Meister über die Natur, er muss nicht meinen, immerzu eingreifen zu müssen. Die Natur ist nicht unser Wohnzimmer, das wir aufräumen müssen. Gerodete Flächen erschaffen sich aus natürlicher Weisheit neu!

    Welches Ereignis ist besonders prägend für deine Arbeit?

    Zu meinem Verständnis von Kunst als Beitrag zur öffentlichen Diskussion gehört Austausch. Corona hat diese Lebendigkeit unterbrochen. Das fehlt! Ausstellungen und Theater warten auf Publikum, auf gemeinsames Bewegtwerden und Bewegen!

    Und was sind die nächsten Schritte?

    Ich warte mit allen zusammen darauf, dass die Türen wieder aufgehen. Ich freue mich darauf, nicht nur einzelne Aspekte, sondern das ganze Projekt NUR N(AT)UR NUR mit allen Fotografien, Skulpturen und Malereien zeigen zu können!

    ​​Neugierig geworden!?

    Hier sind die Kontaktdaten von Manuele Klein

    manueleklein@t-online.de

    https://www.instagram.com/manueleklein/?hl=de

    http://www.manueleklein.de

    https://www.facebook.com/manuele.klein

  • Interview mit den OberstaatsKünstlern – 19.03.2021

    Manuele Klein und Detlev Weigand

    Der Blick öffnet sich an diesem frostig-klaren Nachmittag ins Tal. Das Atelier Oberstaat lädt ein zum Schauen und Entdecken, nicht nur aus den großen Panoramafenstern, sondern auch auf Skulpturen auf Fenster-bänken und Möbeln, Bildern und Fotoarbeiten in unterschiedlichen Formaten an den Wänden, geschichtet und gestapelt in allen Ecken – Zeugnisse einer unbändigen Schaffenskraft, die auch in publikumsfernen Coronazeiten nicht schwinden will.

    ​In diesem Atelier lebt das Paar – und es belebt diesen Ort eigentlich mit regelmäßigen Einladungen zum Offenen Atelier, in dem sich nicht nur Künstlerinnen und Künstler treffen, sondern auch interessante Gäste aus allen gesellschaftlichen Bereichen wie dem NABU Vorträge halten und zu Diskussionen einladen. Kunst nicht nur um der Kunst Willen, sondern immer auch als Anstoß zur Auseinandersetzung mit aktuellen politischen, umweltpolitischen und religiösen Themen – so lässt sich das Selbstverständnis von Detlev Weigand und Manuele Klein zusammenfassen.

    ​Seit dem letzten Jahr ist dieser öffentliche Diskurs unterbrochen – Corona hat das Leben in einen Stand-by-Modus versetzt. Diese erzwungene Ruhe verschafft einerseits Zeit für die intensive Weiterarbeit an Projekten, fordert andererseits beständige Energie und Disziplin, um den alten Schwung zu erhalten.

    Heute bin ich Gast bei den beiden Künstlern – und schon bald steht fest, dass der Auftritt in einem gemeinsamen Interview dem doch unterschiedlichen Schwerpunkt, den sie setzen wollen, nicht gerecht würde.

    So führen die ersten Schritte zunächst in den Hauptgang einer engagierten, vielfach experimentellen und expressiven Kunst, zweigen dann aber in Räume, in denen sich beide unabhängig voneinander präsentieren.


    Manuele Kleins Werk umfasst Malerei, Fotoarbeiten, Skulpturen, Installationen und Performances. Die vielfach ausgezeichnete Künstlerin erhielt zuletzt den Oberbergischen Kulturförderpreis und arbeitet zur Zeit unter anderem an dem vom Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützten Projekt NUR N(AT)UR NUR. In Hochzeiten war ihr Schaffen (ihrer beider Schaffen!) in 16 Ausstellungen innerhalb eines Jahres in Museen, Kunstvereinen und Galerien im In-und Ausland zu sehen. Neben eigener künstlerischer Arbeit wirkt sie auch als Galeristin und Kuratorin – etwa bei der großen Ausstellung im Kulturbahnhof Kunst anlässlich der 950-Jahrfeier der Stadt Overath, an der sich national und international bekannte Künstler beteiligten. „Wir schenken der Stadt Overath ein Museum“ – das war ein gemeinsames Projekt mit ihrem künstlerischen Partner und Lebensgefährten …

    Detlev Weigand. Der bildende Künstler und Klangperformer wählt Installationen, Assemblagen und Fotoarbeiten, um immer wieder die Frage nach Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz zu stellen. Seine Werke sind in vielen Ausstellungen, Museen unter anderem in Schwerin und Ludwigshafen, in Sammlungen wie der von Mary Bauermeister zu sehen. Das vom Land NRW geförderte Projekt „Mea Donna“ wurde 2012 in Mönchengladbach, 2014 in der St. Thomae Kirche in Soest gezeigt und hat an Aktualität bis heute eher gewonnen, so dass dieses Werk, an dem er gemeinsam mit Manuele Klein arbeitet, bis heute einen Großteil seiner Arbeit ausmacht.

    ​Ich danke für einen intensiven Gesprächsnachmittag!
    Katja Gerlach

  • Interview mit Harry Cremer – 15.02.2021

    Harry Cremer war Mitglied des Sprecherrats von EngelsArt und Ideenstifter und Autor des Bühnenstücks zu einer Revue anlässlich Engels‘ 200. Geburtstag am 28.11.2020.

    Wir sprechen heute über dein Projekt, die Pudding Connection, eine Revue zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels, die im vergangenen November im Baumwolllager Uraufführung gehabt hätte. Zu den „ersten Schritten“: Was war deine Motivation zu diesem Vorhaben?

    Wir haben heute den ausgefallensten Rosenmontag aller Zeiten – und Zufall oder nicht – auch meine ersten Schritte auf der Bühne hatte ich im Karneval in Trier. Schon als 16-Jähriger wurde ich zum Karnevalssitzungspräsidenten der Kappensitzung gekürt! Die Welt als Panoptikum der verrückten Vorgänge – und ich als ihr kommentierender Begleiter! Eine Clownsausbildung in Portugal hat mir noch mehr mitgegeben, um meine Sprachlust, meinen Witz in der darstellenden Kunst des Theaters zu zeigen. Die Bühne ist für mich ein Ort der Selbsterfahrung und der Interaktion. Kunst und Kultur bedeuten für mich Welterfahrung, die nie satt macht. – Friedrich Engels ist ein Teil meines Lebensspaziergangs. In Trier habe ich auf dem Gymnasium Abitur gemacht, das schon Karl Marx besucht hat. Das war für mich Auslöser für meine Beschäftigung mit Politik und Soziologie. Jetzt lebe ich in Engelskirchen – in dem Ort, an dem Engels so lebendig verankert ist, dass man hier Menschen anlockt, wenn man über ihn auf der Bühne spricht!

    Gab es von Anfang an ein Ziel?

    Friedrich Engels ist ein vielseitig begabter, interessierter und schöpferischer Geist. Zu Unrecht ist er vereinnahmt worden und entweder verdammt oder bejubelt worden für sozialistische Ideen. So wird man ihm nicht gerecht! Ich wollte ihn entstauben, so dass man ihn sehen kann als Menschen, Zeitgenossen, als einen, der alles in Frage stellte, alles neu denken wollte – aber nie eine fertige Gebrauchsanleitung für die Gesellschaft abzuliefern gedachte.

    Was war dein persönlich größtes Vergnügen auf dem Weg?

    Vergnügen und Gewinn sind eins! Engels wollte zeigen, dass alles ständig im Fluss ist, dass Dinge auf den Kopf gestellt gehören – und das habe ich erlebt in der Zusammenarbeit mit unserer 10köpfigen Truppe aus Schaupieler*innen und Musikern! Wir haben ihn gemeinsam erforscht, das Stück entwickelt, getanzt, gerappt, gesungen – sensationelle Erfahrung!

    Kunst braucht Publikum. Gibt es eine Botschaft an das Publikum?

    Schon nach den Lesungen aus den Engels-Briefen gab es Botschaften des Publikums an mich: Überraschung und Begeisterung über so viele neue Facetten eines Menschen, den man zu kennen glaubte! Seine Humanität, sein optimistisches Zukunftsdenken, seine Offenheit, der Glaube an mögliche Veränderung – darüber möchte ich das Publikum aufklären, es verwirren und zum Nachdenken anstiften!

    Welche Begegnung oder welches Ereignis hat dich unterwegs besonders geprägt? Hat es das Ziel verändert?

    Abgesehen von der Corona-Epidemie, die uns die Aufführung zum Geburtstag gekostet hat, gab es so viele positive Eindrücke, dass allein schon die Probenarbeit ein Wert an sich war. Wir haben es erlebt: das Infragestellen als Auftrag! Das eigene Leben muss in seiner Dynamik betrachtet – und mit diesen Möglichkeiten genutzt werden!

    Und wie geht es weiter?

    Auf jeden Fall wollen wir die Revue aufführen – wenn nicht schon vorher, dann doch spätestens im November …

    200 Jahre Engels und Corona!

    Danke für das Gespräch!
    Katja Gerlach

    ​Leider ist Harry Cremer im April 2022 verstorben …