Autor: Elke Erben

  • Poesie an der Agger

    Am 8. September 2024 wurde die „Poesie an der Agger“ hinter dem Rathaus Engelskirchen eröffnet. Nach 2022 schon die zweite Aktion dieser Art. Viele Besucher/innen waren gekommen, um sich die großformatigen Kunstwerke auf Mesh-Planen zum Thema „Sein & Zeit“ anzuschauen.

    Nach einer kurzen Begrüßung durch Tim-Oliver Kremer (Gemeinderat) und einer Einführung von Renate Seinsch (EngelsArt) präsentierten die Initiatoren dieser außergewöhnlichen Kunst-Aktion (Manuele Klein und Detlev Weigand aus Oberstaat) einige Infos zu den beteiligten Künstler/innen und deren Werke.

    Anschließend hatten die Besucher/innen noch Gelegenheit, die Texte auf den Gedankenflügeln an der Rotbuche hinter der BAV-Villa zu lesen und mit-einander ins Gespräch zu kommen. Oder der Musik und den Texten von AmöbenPank zu lauschen.

    Von den Kunstwerken gab es auch einen Kalender für 2025 – einige Exemplare wurden von den Künstler/innen signiert.

    Die Poesie an der Agger (Bildergalerie und Baum der Lyrik) konnte übrigens noch bis Anfang/Mitte Oktober bestaunt werden können.

  • Skulptur der Städtepartnerschaft eingeweiht

    Seit Pfingsten 2023 steht auf dem Platz vor dem Rathaus eine Metallskulptur, die der Städtepartnerschaft von Engelskirchen mit Plan-de-Cuques in Frankreich und Mogilno in Polen gewidmet ist. Sie zeigt eine Erdkugel, die von drei aufstrebenden Säulen in ihrer Mitte gehalten wird.


    Gestaltet wurde das Kunstwerk von den EngelsArt-Mitgliedern Manuele Klein, Achim Lahr, Renate Seinsch und Detlev Weigand. So wird Kunst auch außerhalb von Ausstellungen im Alten Baumwolllager, in Galerien oder im Rahmen des Offenen Ateliers für eine breite Öffentlichkeit sichtbar …

  • Ausstellung: … die Bilder fliegen mich an!

    Retrospektive von Renate Seinsch zum 85. Geburtstag


    Klein, aber fein war die Vernissage am ersten Freitagabend im September 2023. Renate Seinsch – Künstlerin und Gründungsmitglied von EngelsArt – hat das Baumwolllager mit farbenfrohen Exponaten geschmückt. Wie ein Roter Faden zogen sich Ornamente, Fragmente sowie kraftvolle Farben und Formen durch diese Ausstellung.


    Katja Gerlach vom Sprecherrat würdigte in ihrer lebendigen und sehr treffenden Laudatio nicht nur die vielfältigen Themen und Werke der Künstlerin (besonders Frauen und Tiere), sondern auch das sehr engagierte Wirken bei EngelsArt seit fast 25 Jahren. Nur mit ihrer Hilfe, ihren Ideen und Kontakten ist die Kunst- und Kulturinitiative über die Grenzen Oberbergs bekannt …

    Wer die Vernissage verpasst hatte, konnte sie noch bis Mitte September im Alten Baumwolllager bestaunen. Renate Seinsch freute sich über viele Besucher/innen und anregende Gespräche …

  • Ausstellung: Sehnsuchtsort Island

    Gut besucht war das Alte Baumwolllager am Abend des 13. Oktober 2023. Mehr als 60 Gäste haben den Weg zur Vernissage „Unterwegs in Island“ gefunden, um sich die Ausstellung und die Multivisionsschau anzuschauen. Bei einem Gläschen Sekt wurden die Bilder von Achim Lahr bestaunt und über die Bearbeitung der Fotos von Elke Erben diskutiert.

    Gründungsmitglied Renate Seinsch führte in einer lockeren Begrüßung in das Thema ein und konnte sich nicht vorstellen, dass diese „kalte, karge, stürmische, graue, raue, kahle, vegetationslose und unwirtliche Insel“ so eine Faszination auf Reisende haben könnte.

    Aber genau das zeigen die präsentieren Exponate von Achim Lahr – farbenfrohe Bilder in Acryl auf Leinwand oder Pastell auf Karton. Oder die analog und digital fotografierten Impressionen von Elke Erben – nachträglich einheitlich mit einem digitalen Filter belegt. Eine vielfältige Mischung aus Farben, Formen und Kontraste der weiten und zum Teil bizarren Landschaft auf Island.


    Um 20 Uhr gab es dann noch einen Multivisionsvortrag von Gisela Schwarz – Journalistin, Fotografin und seit Jahren regelmäßig in Island unterwegs. „Es ist quasi meine zweite Heimat, weil ich dort so eins mit der Natur sein kann“. Denn die Weite und Stille sind schon etwas Besonderes…

    Die Ausstellung war bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen.

  • Lyrik in Corona-Zeiten

    Nicht abgesagt

    Gespräche sind nicht abgesagt

    Hilfe ist nicht abgesagt

    Beziehungen sind nicht abgesagt

    Liebe ist nicht abgesagt

    Songs sind nicht abgesagt

    Lesen ist nicht abgesagt

    Malen ist nicht abgesagt

    EngelsArt ist nicht abgesagt

    Selbst-Bewusstsein ist nicht abgesagt

    Hoffnung ist nicht abgesagt

    R.S.

    Es hüstelt mich und kratzt im Hals,
    die Nase dröppelt ebenfalls.
    Und mein gutes Wohlbefinden
    Spür ich täglich mehr entschwinden,
    Teint ist bleicher,
    Stuhl wird weicher.
    Und außerdem von Kopf bis Zeh
    Tut der Body mir so weh.
    Auch der Geruchsinn ist fast weg
    und am Arm ein dicker Fleck.
    Nun seid ehrlich:
    Hochgefährlich!
    Doch all die vielen Zipperlein
    Spür ich schon jahraus – jahrein.
    Aber jetzt sind’s nur die Viren,
    die mich derart malträtieren.
    Schluss mit Ach und Weh!
    Nabelschau ade
    R.S.

    Variationen auf die ach so Moderne
    (frei nach Eckhard Henscheid)

    soll das leben jetzt etwa vermodern?

    o nein, das leben fängt ja
    bald wieder an!

    heute ist es ja erst bloß vormodern…

    Harry Cremer

    Wie schön wär’s, wenn der Wind sie bliese
    ganz weit weg die miese, fiese
    so verhasste Virus-Krise.

    Die Kunst könnt’ sich dann neu entfalten,
    wir würden wieder schalten, walten.
    Wär wirklich alles dann beim Alten?

    Nein, Einzelkampf wär Schnee von gestern,
    wir würden Brüder und auch Schwestern,
    nur wohlgesonnen, ohne lästern.

    Doch dieser Traum geht schnell vorbei.
    Bald ist es so wie einst im Mai.
    Wir konsumieren dann für drei.

    Oder?
    R.S.


    ode an corona (frei nach Kurt Marti)

    hier
    schweigt es
    laut
    hier parkt
    verkehr:
    der lärm
    schwand hin
    man ruht
    sich sehr

    hier
    wohnts
    noch schön
    hier sonnts
    am hang:
    komm
    lass uns
    gehen
    ich
    weil mich
    lang

    Harry Cremer

    Jetzt haben wir die Woche schon fast voll

    Frühlingserwachen
    Oh mögen sich die ollen
    läst’gen Birkenpollen
    endlich wieder trollen!
    Ich weiß nicht, was die wollen.
    Die Augen sind geschwollen,
    Nase aufgequollen.
    Aus meinem zarten Schmollen
    wird aufgebrachtes Grollen.

    Der Teufel soll sie hollen!

    R.S.

    Zum Wochenende eine: ANSAGE

    Wenn schon fast alles
    ABGESAGT
    ist,

    dann bleibt nur noch die
    ANSAGE
    dass

    in diesen kulturlosen Zeiten
    bei Weitem
    in allen Breiten
    von allen Seiten

    und hauptsächlich unter uns der
    KONTAKT
    von mir
    nicht
    ABGESAGT ist.
    Harry Cremer

    Nach einer Woche ziehen wir Bilanz:

    Corona – Bilanz:

    Wir geh’n auf Distanz.
    Kein Händedruck mehr,
    Regale sind leer.

    Kein Kosen, kein Kuss,
    keine Fahrt mehr im Bus,
    kein Kino, kein Zoo,
    kein Papier für den Po.

    Kein Mehl für den Kuchen,
    bloß nicht Oma besuchen,
    Homeoffice zu Haus,
    Kids dürfen nicht raus.

    Kein gemeinsames Speisen,
    schon gar nicht verreisen,
    für’s Haar kein Frisör.
    Quel Malheur!
    R.S.

    Absage

    Ich habe ja fast alles abgesagt

    also um himmelswillen:

    wie sag ich’s wieder an?

    Karl Feldkamp

    Die Coronaregeln salopp gedichtet

    Geh’nse weg, geh’nse weg,
    schau’nse bitte nicht so keck
    mittenrein in mein Gesicht.

    Bleib’nse fort, bleib’nse fort,
    zwei Meter fern von meinem Ort.
    Abstand halten ist jetzt Pflicht.

    Allerhand, Ihre Hand
    -das habe ich doch gleich erkannt-
    ist nicht desinfektioniert.

    Außerdem, ein dicker Hund,
    da ist kein Schutz vor Ihrem Mund.
    Sie gehören isoliert!

    So, mein Frust ist endlich raus.
    Ich gehe ganz entspannt nach Haus
    zu meiner lieben Alten.

    Die fragt, wie war es guter Mann?
    Ich sage ihr darauf alsdann:
    Hab gut mich unterhalten.

    R.S.


    Lyrik 6 (frei nach Franz Hodjak)

    verschiebungen – oder alles offen

    die menschen stehn schlange um mehl
    das mehl steht schlange um korn
    das korn steht schlange um ernte
    die ernte steht schlange um helfer
    die helfer stehn schlange um flugzeuge
    die flugzeuge stehn schlange um einen himmel
    der himmel steht schlange um einen gott

    der gott weiß noch nicht soll er sein oder nicht sein

    Harry Cremer


    die Hoffnung stirbt zuletzt

    Hoffnung?

    Sie liegt im Spital
    auf Intensiv
    Alles ist Qual
    Sie ist „positiv“

    Im Mund ein Schlauch
    Körper verkabelt
    Sonde im Bauch
    weltabgenabelt

    Es wüten die Viren
    Kampf auf Leben und Tod
    Wer wird verlieren?
    Ein Gebet in der Not

    Kein Wunder in Sicht
    Kein göttlich Geheiß
    Selbst sie wissen’s nicht
    die Götter in Weiß

    R.S.

    jetzt sind schon 2 Wochen voll und es kommen immer noch Gedichte
    dieses ist von Christine Jaeger

    Der 26. April 2020 (Sonntag)

    Heut sind die Geschäfte zu
    Ich dachte, da wär’ endlich Ruh
    Die Ruhe, der Dornröschenschlaf
    Den alle so erholsam traf

    Der Bus war schon etwas voller
    Viele Autos, mancher Roller
    Auf der Autobahn Stop and Go
    An einem Sonntag! Das war selten so!

    Angekommen am Stadion
    Die Hertha sitzt am Startloch schon
    Auf dem Friedhof endlich Stille?
    Des Menschen Weg ist doch sein Wille!

    Die Witwen saßen auf der Bank
    Erzählten lauthals ihren Schwank
    Und schöne Geschichten
    Die sich jetzt ganz anders gewichten

    Schnell weg von diesem Platze
    Ich zeig dem Tod erst mal die Fratze
    Morgen beginnt die Schule schon
    Mit Maske und Desinfektion

    Gebet für die Ungeimpften

    Lieber Gott, der alles kann,
    nimm dich der Ungeimpften an.
    Du musst von ihrem queren Denken
    sie endlich zur Vernunft hin lenken?
     Auf dass die Menschen hier auf Erden
    nur negativ getestet werden.
    Lass logisch sie argumentieren,
    und nicht lauthals demonstrieren,
     in Massen durch die Straßen ziehen
    mit ihren kruden Theorien.
    Gib ihnen Einsicht, lieber Gott,
    und das bitte ganz ganz flott.
     Wir woll’n uns wieder Nähe gönnen
    und ohne Maske atmen können.
    Oh lieber Gott, der alles kann,
    nimm dich der Uneinsicht’gen an!!!

    Joseph von Eichendorff: Weihnachtsgedicht
    verschlimmbessert von Renate Seinsch

    Markt und Straßen stehn verlassen,

    kaum geöffnet ein Geschäft.

    Einsam geh ich durch die Gassen,

    von weither ein Hündchen kläfft.

    Masken tragen alle Frauen

    und die Männer vor’m Gesicht,

    auf dass sie sich nach draußen trauen

    und kein Virus sie erwischt.

    Hinaus flieh ich zum Wald, zur Wiese,

    wo eine frische Brise geht.

    So wird mir die Corona-Krise

    eine Weile weggeweht.

    Impfen! Impfen!  hör ich’s raunen.

    Bald ist die Einsamkeit passé,

    vorbei sind Angst und üble Launen!

    Corona, Miststück: Tschüss – Ade!

    Verboten

    Verboten ist uns Modern-Walking.

    Harry bietet Modern-Talking

    so lange bis die Viren modern

    Im Mist, oder im Feuer lodern.

    R.S.

    Während der Pandemie gilt es

    auf Freiheiten zu verzichten,

    die nach der Pandemie umso wichtiger werden.

    ​Karl Feldkamp

    Haiku´s

    Die Wochen vergehen

    noch kein Land in Sicht

    was Neues entsteht

    Kreativität

    vielleicht neue Bedeutung 

    Ideen wachsen

    Wochenlang Sonne

    jetzt Regen als Erlösung

    Die Natur blüht auf

    Neues sehen und

    jeden Tag Fotos machen

    jetzt den Blick schulen


    Elke Erben

    Der 22. April 2020

    Ein Tag, überhaupt nicht ranzig

    Wie manche Tage waren in dieser Zeit

    Heut waren alle sehr bereit

    Bereit, in kleine Läden zu gehn‘

    Sich mal wieder im Spiegel zu sehn‘

    Sich eine Stoffmaske zu leisten –

    Wie die meisten

    Voll von Studenten der Savignyplatz

    Schon wieder die Innenstadt-Hatz

    Auf der Stadtautobahn schon wieder Stau

    Die Leute sind schon wieder rau

    Bei ALDI wieder Klopapier

    Und alles fürs Grillen, das wollen wir!

    Nudeln im Angebot

    Und da sprecht ihr von der Not?

    Wenn das die Merkel wüsste

    Denn ich müsste

    Ganz brav zu Hause weilen

    Und nicht durch die Geschäfte eilen

    Für mich kann ich aber sagen

    Ohne viel zu wagen

    Habe ich Masken gekauft

    Und mich nicht gerauft

    Marienkäfer und Blumen als Design

    Nehmen nun Mund und Nase ein

    Ein bisschen Flower Power

    gegen den Corona-Schauer

    © Christine M. Jaeger     Berlin im April 2020

    zeitverwendung

    tot geschlagen haben wir sie

    die zeit mit handel und wandel

    mit notwendigen pausen

    bei erhabenen überflüssen

    erlebt haben wir sie im lustgarten

    vergoldeter konsumtempel

    beim schein der aprilsonne

    sangen wir bereits lästerliche lieder

    über gierige weißhaarige männer

    und gott so wussten wir gottlosen

    war stets auf unserer seite

    nun suchen wir unverdrossen

    nach neuen sympathisanten

    Karl Feldkamp

    quarantänen

    in meinem haus am meer
    gemietet oder noch zu kaufen
    mir selbst überlassen und
    gerade nicht einzufangen
    sitze ich hinter beschlagenen fenstern

    gischt und weißer sand verwehen
    mein blick verschwimmt
    und stößt auf noch keine hindernisse
    wo sich weiß bekröntes blaugrau
    mit himmelblauem mischt

    süchtig nach wind und salz
    segeln sturmmöven auf beutezug
    unter seeschwalben zwischen wolken
    und vorgeträumten delphinen
    verweilt ein verlassener schatten

    nur weit draußen kreuzen graue
    schnellboote und eine fregatte


    relativ

    Ich habe „Rücken“

    alles tut weh

    gehen und bücken

    vom Kopf bis Zeh

    vom Steiß bis Wade

    Schmerzen und Qual

    Corona ist grade

    mir ziemlich egal

    R.S.

    Maskenpflicht

    Mich strahlen blaue Augen an

    engelhaft so scheint es mir

    zieht mich ihr Blick in ihren Bann

    vom Blitz getroffen steh ich hier

    Oh ihre Anmut, die Bewegung,

    Timbre, Charme und ihr Geruch

    versetzen mich in Hocherregung

    Nase und Mund verdeckt ein Tuch

    Ach bitte zeig mir Dein Gesicht

    die Sinne schwinden, mir wird flau

    sie tut es und in hellem Licht

    steht vor mir meine eig‘ne Frau

    R.S.

    Es hüstelt mich und kratzt im Hals,                                                                              

    die Nase dröppelt ebenfalls.                                                                                         

    Und mein gutes Wohlbefinden                                                                                      

    Spür ich täglich mehr entschwinden,                                                                      

    Teint ist bleicher,                                                                                                              

    Stuhl wird weicher.

    Und außerdem von Kopf bis zeh                                                                                     

    Tut der Body mir so weh.                                                                                                    

    Auch der Geruchsinn ist fast weg                                                                                

    und am Arm ein dicker Fleck.                                                                                             

    Nun seid ehrlich:                                                                                                

    Hochgefährlich!

    Doch all die vielen Zipperlein                                                                                         

    Spür ich schon jahraus – jahrein.                                                                             

    Aber jetzt sind’s nur die Viren,                                                                                         

    die mich derart malträtieren.                                                                                 

    Schluss mit Ach und Weh!                                                                                   

    Nabelschau ade                                                            

    R.S.

  • Interview mit Michael Domas – 25.10.2023

    Michael Domas eröffnet unser Telefongespräch mit einem seiner Gedichte!

    Den Verächtern des Leibes

    (Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe als in deiner besten Weisheit – Friedrich Nietzsche)

    Poesie ist oft verfänglich,
    wenn der Dichter nicht zu bänglich.
    (Freilich müssen auch die Scheuen
    ihr Verhalten nicht bereuen.)

    Anyway, kommt es zum Akte
    (schön ist das für gänzlich Nackte),
    wird sich was im Fleische zeigen
    und die Verse übersteigen.

    Tuen wird der Leib das Ich statt
    es zu reimen. Was es nicht hat,
    das Gedicht, der Leib wird’s sagen
    und in neue Verse tragen.

    So bin ich aufs Schönste eingestimmt auf unseren gemeinsamen Spaziergang zu der Veranstaltung „Die Kunst über die Liebe“, die am 4. November im Alten Baumwolllager erlebt werden kann.

    Michael Domas schreibt selbst Texte, vor allem Gedichte.

    Sprache ist das Medium seiner Wahl, um sich mit der Welt auseinanderzusetzen und Gedanken eine künstlerische Form zu geben, das heißt, etwas neben die Wirklichkeit treten zu lassen.

    Die sprachliche Gestaltung ist zugleich Vertiefung und Verarbeitung eines Themas oder einer Idee. Durch die Bindung an Vers und Reim entsteht etwas Neues, etwas Ästhetisches, das leichter macht, das Leben auszuhalten.

    An diesem trüben, regnerischen Herbsttag reden wir über die Liebe – 2die Wahl des Themas hätte nicht passender sein können!

    Erste Schritte – „Die Kunst über die Liebe“ – was war die Motivation zu diesem Projekt?

    Die Liebe trifft Menschen mit großer Wucht. Liebe ist, wie ich es mit meinem Gedicht sage, der Schnittpunkt zwischen Körper und Seele.

    Die Liebe ist eine eigene Sprache, die entdeckt und verstanden wird, indem man liebt. Nichts berührt Menschen so stark wie die Liebe.

    Und der Hass! Aber es ist eben angenehmer, über die Liebe zu schreiben, selbst über das Liebesunglück, deshalb wird kein Thema so viel besungen und bedichtet. „Herz“ und „Schmerz“ reimt sich auch heute noch – und auch heute suchen Menschen besonders häufig nach Liebesgedichten – in Zeiten des Internets lässt sich das leicht nachprüfen anhand der Klicks und Likes.

    Lyrik wirkt durch die Form über das Bezeichnete hinaus, es ist etwas darin wie in der Musik, bei der man auch über ihr Eigentliches nicht sprechen kann.

    Hier nun, beim Auftritt bei EngelsArt, kommen auch Lieder noch hinzu. Wir sind dabei ein harmonischer Dreiklang, befreundet seit unserer Jugend in Trier. Christine Reles und Jules Thesen treten gemeinsam auf als das Duo „Christine und Jules“. Mit Klavier und Gitarre begleiten sie sich zu ihren Liedern, die von den großen und kleinen Begebenheiten des Lebens erzählen. Neben den selbst komponierten von Christine Reles gibt es auch Coversongs unter anderem von André Heller, Hannes Wader, Jacques Prévert und vor allem Georges Moustaki. Mit ihrer Musik laden sie ein, Stimmungen nachzuspüren, einen Augenblick zu genießen und sich an Kunst zu erfreuen.

     Gab es von Anfang an eine genaue Vorstellung von dem Programm?

    Wir haben uns getroffen und zusammengetragen, was wir an Gedichten und Liedern in unserem Repertoire haben. Aus diesem Fundus entstand das Grundgerüst für erste Wohnzimmerkonzerte vor Freunden und Bekannten – das waren unsere ersten Schritte. Einmal unterwegs, ergaben sich viele neue Ideen – wir alle drei sind schöpferische Menschen und so entstanden immer weiter Songs und Texte, die das Programm am Samstag in Engelskirchen bereichern werden. Wir überraschen uns sozusagen selbst mit dem, was wir, einmal angestoßen, auf die Bühne bringen.

     Was war das größte Vergnügen auf dem gemeinsamen Weg?

    Jules hat eine Melodie geschrieben, in die ein Gedicht von mir hineinpasste. Das hat mich ganz außerordentlich gefreut – und es ist auch bei dem Publikum besonders gut angekommen.

     Publikum – ein gutes Stichwort! Kunst braucht Publikum – mit welcher Absicht tretet ihr auf?

    Ganz grundsätzlich hoffe ich natürlich, möglichst viele Menschen zu gewinnen für die Schönheit des gesprochenen und gesungenen Wortes. In Köln präsentiere ich im „Heimathirschen“ ein Programm unter dem Titel „poetry trifft Poesie“. Poetry Slam, also das gesprochene, gestaltete Wort, lockt Heerscharen von jungen Menschen an, von denen es ja oft heißt, sie seien geradezu analphabetisch oder doch illiterat.  Wenn sie sich begeistern für Sprachkunst – warum dann nicht dort auch ansetzen und die Schreibkunst ins Spiel bringen? Ich antworte dort in Resonanz auf die Slammer mit Gedichten. So begegnen sich spoken und written word.

    „Die Kunst über die Liebe“, so heißt unser Programm in Engelskirchen. Wir wollen die Kunst feiern, die Kunst, die über die Liebe spricht und die über sie hinausgeht. Wir hoffen, dass das Publikum unsere Begeisterung und unseren Spaß teilt!

     Was war besonders prägend während der Arbeit an dem Projekt?

    Wie sich unser Repertoire gegenseitig ergänzt und ineinandergegriffen hat, und in wie schöne Kunst jetzt meine Gedichte eingebettet sind.

     Und wie geht es weiter?

    Alles liegt in unseren Händen! Wir werden weiter auftreten – und vor allem aber weiter Lyrik und Musik machen!

    Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch

    Katja Gerlach

    Hier finden Sie noch mehr über Christine Reles, Michael Domas und Jules Thesen:

    https://michael-domas.de

    https://www.jules-music.eu/kostproben

    https://christine-reles.de

  • Interview mit Achim Lahr – 13.09.2023

    Achim Lahr treffe ich zu Hause, in der Küche. Frischer Apfelkuchen duftet lecker, auf den Ablagen ringsum stapeln sich Bücher, frisch gedruckt, Flyer, selbst gestaltete für Veranstaltungen von EngelsArt und gesammelte von interessanten Events, Informationen und To-Do-Listen.

    An den Wänden hängen Bilder und Fotos, die eine Einstimmung geben in das Leben der Familie: bunt, lebenslustig, reisebegeistert, aktiv, immer mittendrin. Für Achim könnte der Tag gut mehr Stunden haben, aber auch so passt viel hinein in sein (Ruhe(?)-stands-)leben: Immer gefragt, wenn es um Organisation und Technik geht, immer gut für neue Ideen, die dann auch umgesetzt werden, immer mit wachem Blick unterwegs, um Motive für seine Bilder zu entdecken – und dann auch noch Zeit, um den Tag im Garten oder Pool ausklingen zu lassen und die Sterne zu betrachten. Man tut gut daran, bequeme Schuhe zu wählen für das Stück Weg, das in diesem Gespräch beschritten wird! (Achim hat viele, auch farbenfrohe Exemplare davon im Schrank!)

    Erste Schritte – wie kamen Kunst und Kulturarbeit in dein Leben?

    Kunst erleben, Ausstellungen und Konzerte besuchen, das war immer schon meine Leidenschaft. Besonders schön ist es natürlich, dass ich mein Interesse inzwischen auch mit meinen Töchtern und meiner Frau teile. Mit einer von ihnen nahm ich zuletzt an einem Workshop im Hans Arp Museum teil. Meine Frau schenkte mir vor vielen Jahren einen Malkurs in der Gruppe „Farbspiel“ in Rösrath – als Ausgleich zu meinem Beruf. Über viele Jahre fand ich dort, was ich für meine künstlerische Entwicklung brauchte: Anregungen zu neuen Techniken, Austausch mit Gleichgesinnten und die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, indem wir Ausstellungen organisierten. Dort lernte ich Zeichnen, später auch vor allem Landschaftsmalerei.  Aus gegenständlichen Bildern, etwa in Erinnerung an Reisen nach Venedig, wurde mehr und mehr abstraktes Spiel mit Farben. Landschaften prägen sich mir vor allem durch die Farbigkeit ein – die Atmosphäre, die durch unterschiedliche Lichtverhältnisse, die Jahreszeiten, Sonnenauf- oder untergang geschaffen wird, möchte ich im Bild einfangen. Mit Pinsel und Spachtel bringe ich kräftige Farben auf Papier, Holz oder Leinwand – so empfinde ich die starke Energie von Landschaft und Natur.

    Schon in meiner ersten Malgruppe ging mein Engagement über die Malerei hinaus: Wenn wir eine Ausstellung planten, gehörte Werbung, der Druck von Plakaten und Flyern und das Hängen der Bilder dazu. Schon immer war ich technikbegeistert, dazu durch meinen Beruf als Radio- und Fernsehtechniker erfahren auch im Durchführen von großen Veranstaltungen. Ich konnte also gar nicht anders, als diese Fähigkeiten auch in der Ausübung meines größten Freizeitvergnügens einzusetzen.

    2017 begann mein Ruhestand – und das war auch der Beginn meiner Mitarbeit bei EngelsArt. Die Aktivitäten der Gruppe kannte ich schon, die Neugier trieb mich zum Jour fix, mein Interesse an der Kulturarbeit und meine Lust, neue Kontakte zu knüpfen, führte schnell dazu, dass ich im Sprecherrat mitarbeiten konnte. Das mache ich bis heute.

    War das von Anfang an das Ziel für den neuen Lebensabschnitt, den Ruhestand? Oder ist der Weg das Ziel?

    Da steckt kein Plan dahinter! Vielleicht ist das auch genau der Charme des Ruhestands, dass man die Chancen ergreifen kann, die sich bieten – ganz nach dem freien Lustprinzip!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg? Gab es Überraschungen?

    Für meine Arbeit bei EngelsArt besteht das größte Vergnügen in der Gestaltung der Technik. Seit 2019 bin ich da mehr und mehr zuständig und habe zum Beispiel die Organisation der Licht- und Tontechnik für die Engelsrevue übernommen. Außerdem gab es Videoclips, die die Aufführung begleiten sollten – leider konnten wir die Show durch Corona – und schließlich durch den Tod von Harry Cremer, der Autor, Initiator und Seele des Stücks war, nicht aufführen. – Zuletzt gab es viel Zustimmung zu der Ausleuchtung der Bühne und Lichteffekte bei Amöbenpank, der Band von Manuele Klein und Detlev Weigand. Mit wenig Aufwand tolle Effekte zu erzielen, ist für mich immer eine tolle Herausforderung.

    Das letzte große Projekt, an dem ich mitarbeiten durfte, war die Skulptur zur Städtepartnerschaft für die Gemeinde Engelskirchen. Das Vergnügen gipfelt jetzt in einem Kunstwerk im öffentlichen Raum – das erfüllt mich natürlich auch mit Stolz. Bis dahin war der Weg lang und gestaltete sich durch sehr vielfältige Aufgaben: zunächst die gemeinsame Planung mit Renate Seinsch, Manuele Klein und Detlev Weigand, dann die Suche nach Sponsoren und schließlich die Realisierung des Projekts und dadurch die Kontakte zu verschiedenen Gewerken der Metallbearbeitung. So konnte ich den Weg eines Kunstwerks wirklich von Anfang bis Ende begleiten – das war schon ein besonderes Erlebnis.

    Für mich als Künstler ist es natürlich ein besonderes Vergnügen, wenn meine Bilder gefallen, vielleicht auch gekauft werden. Wenn ich an meine Bilder und an die Entwicklung der letzten Jahre denke, fallen mit zwei Ereignisse ein, die auf den ersten Blick nichts, dann aber wieder viel gemeinsam haben und bei denen Vergnügen mitschwingt, leider aber auch eine eher böse Überraschung: Island und Corona.

    2020 war ich nur für drei Tage auf Island, aber dieser Aufenthalt hat mich sehr beeindruckt. Die Landschaft in dieser extremen Gegend, dazu die unglaubliche Stille – das hat noch lange nachgewirkt. Die Bilder, die nach dieser Reise entstanden, sind eher Farbkompo-sitionen als Landschaften. Die Beschäftigung mit diesem Thema dauerte lang und zog sich durch die Corona-Zeit.

    In dieser extrem außergewöhnlichen Zeit erlebten wir alle einen Stillstand, dadurch auch viel stille, planungsfreie Zeit mit Raum für Kreativität.

    Kunst braucht Publikum – was bedeutet dieser Satz für dich?

    Applaus ist der Lohn des Künstlers! Ich freue mich über Menschen, die meine Kunst anspricht, genauso wie über das Feedback an uns als Veranstalter. Wie oft hören wir Anerkennung zur Gestaltung der Räume und zur Durchführung von Veranstaltungen. Das motiviert mich immer wieder, weiterzumachen!

    Ich denke auch, dass wir mit unserer Arbeit bei EngelsArt genauso wie ich mit meiner Malerei zeigen kann, dass man etwas bewegen kann. Wenn ich also dem Publikum etwas sagen wollte, wäre es so etwas wie: Mut zur Farbe! Keine Angst vor Aktionen! Rauf auf die Bühne! Bewegt euch!

    Welches Ereignis war besonders prägend während der Zeit deiner aktiven Kunst- und Kulturarbeit? Hat es etwas verändert?

    Corona! Da gab es ein bisher nicht gekanntes Erleben von Endlichkeit. Das setzt sich natürlich mit zunehmendem Alter fort – man feiert mehr Begräbnisse als Hochzeiten.

    Diese Zeit hat uns einen Schrecken versetzt, uns aber gleichzeitig vielleicht sensibler gemacht. Ich weiß noch mehr, was ich schätze und was mein Leben als Mensch und als Künstler prägt: Der Zusammenhalt in der Familie ist mir wichtig, die Begegnung nicht nur, aber auch bei Festen. Die Reisen der letzten Jahre nach Südamerika und Afrika haben meinen Blick in die Welt geöffnet: Die überwältigende Natur, fantastische Landschaften in allen Schattierungen wahrzunehmen, erfüllt mit großer Begeisterung. Und gleichzeitig wird mir bewusst, wie klein und unbedeutend wir sind. In der Malerei kann ich solchen Eindrücken noch intensiver nachspüren, als wenn ich nur ein Foto mache. Die Natur ist für mich die größte Künstlerin – und der Mensch ist gleichzeitig ihr größter Bewunderer und auch Zerstörer.

    Und wie geht es weiter?

    Ich stecke voll positiver Energie, voller Lust auf neue Entdeckungen. Also: nichts aufschieben! Die Zeit nutzen! Nicht nur planen, auch machen!

    Ich danke herzlich für ein intensives Gespräch!
    Katja Gerlach

    Weitere Infos zu Achim Lahr:

    https/farbspiel.eu

  • Interview mit Renate Seinsch – 04.08.2023

    Erste Schritte mit Renate Seinsch

    Eine maisgelbe Jacke wärmt sie an diesem trüben, regnerischen Sommertag, goldgelb leuchtet ihr Schmuck wie um dem Wetter und den allgemeinen Umständen etwas Glanz und Licht entgegenzusetzen – mit dem vertrauten breiten Lächeln öffnet Renate Seinsch mir die Tür in ihrem Haus in Birnbaum.

    ​Die vielen kleinen Räume haben einen hohen Unterhaltungswert: Ihre Bilder erzählen von ihrer unerschöpflichen Kreativität, der Vielseitigkeit ihres künstlerischen Ausdrucks, von einem wachen Blick auf ihre Umgebung und tiefem Verständnis und oft auch ihrem Witz, mit dem sie darauf reagiert.

    Der Sommer 2023 geht als heißester Sommer seit Menschengedenken in die Geschichte ein – nur in Deutschland und besonders in Oberberg bleibt es regnerisch und kühl. So findet unser Gespräch nicht im Garten, sondern in der gemütlichen Küche statt. Ach, Garten! Was sage ich! Ein ganzes großes Stück Land ist hier bepflanzt, gestaltet, belebt, von den Bewohnern sichtlich immer wieder bestaunt und geliebt – ein wahres Paradies, umfriedete Natur, die immer wieder Inspiration für ihre Kunst war und ist.

    Die Ausstellung „Die Bilder fliegen mich an“,
    die im September im Alten Baumwolllager gezeigt wird, ist schon lange geplant – und doch ist dieses Jahr alles anders. Diese Retrospektive zum 85. Geburtstag sollte Teil einer großen, fröhlichen Feier werden. Aber der Sommer entwickelte sich ganz anders als gedacht: Jörn Seinsch, Renates Mann, wurde mitten in der Gartenarbeit von einem Schlaganfall getroffen und starb Ende Juni.

    Alles ist anders – und die Gleichzeitigkeit von Trauer, Schmerz und Lebensmut und Gestaltungswillen wird beinah körperlich erfahrbar. Plötzlich auf sich gestellt, nach 60 Jahren Ehe allein im großen Haus, umgeben von Erinnerungen, zeigt sich auch das, was Renate Seinsch immer ausgemacht hat: Sich aufrichten, in ganzer Größe und mit lauter Stimme furchtlos kundtun, was sie will und denkt. Die Ausstellung wird eröffnet werden! Das Interview findet statt! Auch Staunen und Freude über das eigene Leben, Lachen, Glückwünsche und Applaus haben ihren Platz! Die Geschichten, die man anderen erzählt, das Lachen, das man aussendet, kommen auch wieder zu sich selbst zurück: Das kann man im Zusammensein und im Gespräch mit Renate erleben.

    Die Ausstellung, die am 02. September eröffnet wird, zeigt Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen eines langen Künstlerlebens. Wo beginnen da die „ersten Schritte“?

    Schon in der Schule baten meine Freundinnen mich, ihre Bilder zu vervollständigen – seit ich denken kann, male und zeichne ich leidenschaftlich. Gerne wäre ich Modezeichnerin geworden, aber meine Eltern waren gegen eine Ausbildung. So arbeitete ich ein paar Jahre bei der Deutschen Bank in Bonn als angelernte Kraft und bekam sicher das originellste Arbeitszeugnis, das man als Bankangestellte so kriegen kann. Neben meinem Fleiß und meinem Engagement wurde besonders gelobt, wie ich mich durch das Zeichnen von Glückwunsch- und Weihnachtskarten aller Art, durch Illustrationen in der Firmenzeitung und zu anderen Gelegenheiten verdient gemacht hatte.

    Die folgsame Tochter hat also still und heimlich doch ihr Ziel verfolgt?

    Ich könnte nicht sagen, dass ich einen Plan hatte, dass ich damals schon wusste, wo der Weg hingehen würde. Aber ganz sicher gab und gibt es einen unwiderstehlichen Drang in mir, mich künstlerisch auszudrücken – und dafür habe ich immer alles getan. Über vier Jahrzehnte besuchte ich Lehrgänge; vor allem die Bonner Maler Jean Dotterweich und Manfred Weil vermittelten mir grundlegende Kenntnisse in der Ölmalerei, bei der Studiengemeinschaft Darmstadt lernte ich Karikatur und Zeichnen sowie in der PH Bonn Aktmalerei, schließlich absolvierte ich auch eine Akademieausbildung mit Abschluss der Meisterklasse an der Malakademie Köln. Die bildende Kunst ist mein bevorzugtes Mittel, um mich auszudrücken – und darin wollte ich einfach so gut wie möglich werden.

    Lange glaubte ich aber nicht wirklich an die Möglichkeit eines Erfolgs. Das änderte sich schlagartig 1967: Damals gab es ein Preisausschreiben der Frauenzeitschrift Constanze zusammen mit dem Hersteller von Q-Tipps unter dem Titel: „Mütter malen mit Wattestäbchen. Aus der Welt meines Kindes“. Am letzten Tag reichte ich meinen Beitrag ein: Auf einem schmalen Pappkarton gemalt, schaut ein kleiner Junge seinem Luftballon nach. Per Telegramm erhielt ich die Nachricht, dass ich den dritten Platz unter 700 Einsendungen gemacht hatte. 300 DM gab es – eine anständige Summe Geld, für die wir uns einen Teppich kauften! Dazu eine Ausstellung im Künstlerhaus München – da wurde selbst meinem Mann endgültig klar, wen er da geheiratet hatte! Er richtete mir gleich ein Atelier in unserem Haus in St. Augustin ein, das ich aber eigentlich nie richtig nutzte. Familie, Mitarbeit in unserer Kanzlei, die Arbeit im Haushalt – da passte es für mich nicht, mich ins Atelier zurückzuziehen.

    Folgsame Tochter – das passt ganz gut zu mir, eigentlich überraschend gut, wenn ich mich mit den Blicken anderer sehe. Mitschülerinnen, Mitstudierende, später auch andere Wegbegleiter kennen mich als eine forsche Person, die keine Scheu hat, den Mund aufzumachen, sich auf die Bühne zu stellen, ihre Meinung zu vertreten. So hatte ich oft die Rolle der Wortführerin, derjenigen, die Reden schwingt – und der Erfolg, den ich damit hatte, besiegte meine Unsicherheit. Aus einer braven Tochter und Schülerin ist heute eine richtige Macherin geworden! Man wächst eben mit den Aufgaben, die man übernimmt!

    Folgsam war ich auch lange in der Zeit meiner künstlerischen Ausbildung. Treu folgte ich meinen Lehrern, machte ihre Aufgaben zu meinen – erst allmählich entwickelte ich meinen eigenen Stil. Mein damaliger Lehrer Leyendecker in der Malakademie unterstützte mich, als ich in einem Kurs bei ihm anfing, Kühe zu malen, so wie ich sie sah und wie ich sie zeigen wollte. Daraus wurde ein ganzer Zyklus mit Nutztieren. Mein Mann Jörn und ich, wir begannen damals, uns aktiv für den Tierschutz einzusetzen – mein künstlerischer Ausdruck hatte einen wirklichen Antrieb.

    Es dauerte dann aber noch einmal, bis der Knoten wirklich platzte.
    Das war bei meiner ersten Einzelausstellung 1999 im Heimatmuseum in Bergneustadt mit dem Titel „Viechereien“. Die Anerkennung beflügelte mich! Gleich sieben Bilder verkaufte ich!

    Und dann kamen Anfragen von der Stadt Gummersbach, vom Lions-Club, die mich baten, bei Ausstellungen mitzumachen. Plötzlich hingen meine Bilder nicht nur im Oberbergischen Kreis, sondern zum Beispiel auch in Frankreich, in unserer Partnerstadt LaRoche.

    Mich brachte also weniger mein eigener Ehrgeiz, ein Ziel zu erreichen, nach vorne, sondern eher die Erfahrung, gefragt zu werden. Diese Reaktion auf meine Kunst ist ein ganz wesentlicher Glücksmoment, aus dem Energie für den weiteren Weg erwächst.

    Was ist das größtmögliche Vergnügen auf deinem Weg als Künstlerin?

    Ideen zu meinen Bildern sind nicht das Ergebnis langer Überlegungen. Bilder fliegen mich an – und dann werden sie gemalt! Die höchste Befriedigung gelingt natürlich nicht bei jedem Bild, aber der schönste Lohn für mich ist, wenn mir ein Bild gelingt, das ich als vollkommen im Ausdruck empfinde. Oft ist das der Fall, wenn man in einen Flow gerät, einfach getragen wird, ein Werk in einem Guss vollenden kann, ohne großes Nachsinnen oder Korrigieren. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl! Man könnte singen, tanzen, jauchzen, sich betrinken – man erlebt, wie die innere Energie Gestalt, Form und Farbe annimmt – einfach umwerfend!

    Kunst braucht Publikum – was willst du deinem Publikum mitteilen?

    Meine Bilder teilen sich selbst mit – da braucht es keine Erklärung. Der Betrachter sieht, was für ihn wichtig ist und spürt, was ihn anspricht. Wenn ich meinem Publikum etwas mitteilen will, dann eher ganz grundsätzlich: Für mich ist ein Leben ohne kreativen Ausdruck undenkbar – und so oft hat mir die Kunst geholfen, auch schwierige Lebensphasen zu meistern. In meinen Bildern, in meinem künstlerischen Schaffen habe ich immer einen Weg gefunden, diese Künstlerinnenseele in mir lebendig zu halten – und dort liegt oft die Quelle meiner Energie und Lebensfreude. Wenn sich jemand durch mich anstiften lässt zu Kreativität, dann finde ich, meine Botschaft ist angekommen!

    Im Übrigen: Sobald ein Bild an die Öffentlichkeit geht, tut meine Aussage nichts mehr zur Sache.
    Der Betrachter sollte seine eigene Interpretation finden, die ausschließlich seiner Gefühls-
    und Denkart entspricht.

    Welche Begegnung war besonders prägend auf deinem künstlerischen Lebensweg?

    Lange habe ich an mir selbst, an meinen Fähigkeiten und Fertigkeiten gearbeitet und mich ausgebildet – mein wirkliches Leben als Künstlerin begann aber damit, dass ich von anderen wahrgenommen wurde und plötzlich zu einer Gruppe von Menschen gehörte, die ebenfalls als Künstler in der Öffentlichkeit auftraten. Die Begegnung mit anderen, der Austausch, gemeinsame Projekte, das Gefühl, andere zu begeistern mit dem, was man tut – das sorgt für eine Lebendigkeit, eine Fröhlichkeit, die man alleine im Atelier nicht erreicht.

    EngelsArt, die Kunst- und Kulturinitiative in Engelskirchen, ist da natürlich ein ganz besonderes Beispiel! 2000 war ich als Gründungsmitglied dabei, als sich die Gruppe zusammenschloss, um Kulturarbeit in Engelskirchen lebendig zu machen. Bis heute bin ich Mitglied im Sprecherrat. Anfangs hatten wir noch nicht das Alte Baumwolllager als Spielstätte, sondern bewegten uns mit einer Kulturkarawane durch die Stadt, hielten Lesungen auf dem Hit-Parkplatz ab oder veranstalteten Konzerte und Events in Privathäusern. So auch 2002 bei den Birnbaumer-Kunsttagen auf unserem Grundstück – ein fantastisches Fest mit 20 Künstlerinnen und Künstlern, die bei uns im Garten, im Stall und auf dem ganzen Gelände ausstellten. Das Publikum brachte sich zum Teil Picknickdecken mit und feierte zwei Tage lang!

    2005 fand eine große Ausstellung unter dem Titel „Wertlos“ im Park hinter der Engelsvilla statt – dort präsentierte ich meine „Wanderstühle“. Mit EngelsArt zusammen organisierte ich jedes Jahr die Tage der offenen Ateliers, durch die sich Künstlerinnen und Künstler in ganz Oberberg präsentieren konnten.

    Dadurch knüpfte ich so viele Kontakte und schloss Freundschaften – mein Engagement bei EngelsArt förderte mein Selbstbewusstsein ordentlich! – Selbst die Coronazeit wurde durch EngelsArt erträglicher – Teil unserer Aktionen waren auch meine Frauenporträts in den Schaufenstern von Ründeroth und Engelskirchen, die als Mutmacherinnen auftraten!

    Wir begegnen dir und deinen Werken ja auch immer mal wieder in der Öffentlichkeit!

    Ja, der Ankauf von Bildern für die Rathausgalerie in Gummersbach und die Tatsache, dass meine Hühner beim Bundesverband der deutschen Geflügelzüchter in Berlin hängen – das macht mich schon sehr stolz! Außerdem durfte ich das Altarbild der Heiligen Elisabeth in der katholischen Kirche in Nochen gestalten und erhielt dafür sehr berührende Reaktionen. Und einer meiner Wanderstühle aus der Aktion „Wertlos“ steht als Andenken daran im Foyer der Engelsvilla. Zuletzt wurde die Skulptur zur Städtepartnerschaft von Engelskirchen und Plan de Cuques in Frankreich und Mogilno in Polen vor dem Rathaus in Engelskirchen eingeweiht. Dieses Symbol der Partnerschaft und Freundschaft ist eine Gemeinschaftsarbeit mit Manuele Klein, Detlev Weigand und Achim Lahr.

    Und wie geht es weiter?

    Am liebsten immer weiter so! Aber ich weiß natürlich, dass die Endlichkeit des Lebens mich einschränkt. Große neue Pläne mache ich nicht. Trotzdem: Ich möchte immer weiter dabei sein! Das Leben im Jetzt wird immer wichtiger. Ich bin offen für die Veränderung, die diese Phase mit sich bringt. Welche Themen werden mich jetzt anfliegen? Wie werden meine nächsten Bilder aussehen? Ich vertraue auf meine Lebendigkeit – alles wird sich zeigen!

    Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch!

    Katja Gerlach


    Und hier gibt es mehr zu sehen von Renate Seinsch:

    http://www.renate-seinsch.de/

  • Interview mit Karl Feldkamp – 01.03.2022

    Meine erste Anfrage für ein Interview mit
    Karl Feldkamp liegt knapp zwei Wochen zurück – gut gelaunt blickte er damals seinem Urlaub entgegen. Wir verabredeten uns für Anfang März – nun in einer anderen Zeit: Krieg in der Ukraine, lange Truppenaufmärsche Richtung Kiew, kampfbereite Menschen verschanzt in Kellern und U-Bahnschächten, verzweifelte Mütter mit ihren Kindern auf der Flucht.

    ​Es braucht eine Zeit der Vorbereitung, bis der Kopf frei ist für ein Gespräch über das Schreiben mit dem Leiter der Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“, die regelmäßig das Programm von EngelsArt bereichert. Das nun schon vertraute Krisenthema, Corona, ist Grund für die Entscheidung, dass ich Karl Feldkamp am Telefon treffe. Als Schriftsteller verfasst er vor allem Lyrik und Erzählungen. Seine Auseinandersetzung mit der Sprache spürt man in seinen genau formulierten Antworten, die nahezu verdichtete Reaktionen auf meine Fragen sind. Die Konzentration im Gespräch, fernab der Tagespolitik, erlebe ich als wohltuend. So bekomme ich vielleicht eine Ahnung von der zugewandten Atmosphäre, die in seiner Schreibwerkstatt herrschen mag: Das Wort, das man für eine innere Stimmung findet, spiegelt und macht dadurch fassbar, was vorher noch unaussprechlich schien.

    Erste Schritte – was war die Motivation für das Vorhaben, in Engelskirchen die Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“ zu gründen?

    Schreibwerkstätten sind kreative Orte, an denen ich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Motivation zu unterschiedlichen Themen gearbeitet habe. In Köln habe ich an der Volkshochschule Schreibwerkstätten angeboten, in Bergisch Gladbach als Mitglied der Autorengruppe Wort und Kunst – immer wieder hat es mich interessiert, mit Menschen an ihren Geschichten zu arbeiten. Als Sozialarbeiter und Supervisor bringe ich sicher auch ein professionelles Interesse an der Persönlichkeit hinter der Geschichte mit. Durch meine Arbeit habe ich ein Gespür dafür entwickelt, wie ich Menschen ansprechen und zum Reden bringen kann.

    Nun ist natürlich nicht alle Literatur autobiographisch! – Hier in Engelskirchen traf sich aber tatsächlich das Bedürfnis eines Großvaters, der ich inzwischen geworden war, seinen Enkeln die eigene Geschichte zu erzählen, mit dem gelungenen Start einer Gruppe, die eigentlich genau das zum Ziel hatte. Inzwischen trifft sich die Gruppe seit drei Jahren. Jüngere sind dazugekommen, so dass sich neue Themen ergeben.

    So war also der Weg das Ziel?

    Das kann man so sagen. Über den Austausch in der Gruppe schälen sich Themen heraus, die häufig autobiographisch sind. Es ergeben sich aber genauso auch Erzählungen über ein Familienmitglied, das eine besondere Rolle gespielt oder ein historisch interessantes Leben geführt hat. Andere wieder entdecken Themen, die sie essayistisch betrachten. Das Leben als solches wie auch das Älterwerden im Besonderen bieten da unerschöpfliche Anlässe.

    Was war die größte persönliche Überraschung, das größte Vergnügen bei Ihrer Arbeit in der Gruppe „Wer schreibt. Bleibt.“?

    Die größte Zeit meines Lebens war ich ein Stadtbewohner: Lübeck, Osnabrück, Köln, Bergisch Gladbach. Als ich dann, beladen mit besorgten Warnungen von Freunden, nach Wallefeld, aufs Land zog, war tatsächlich die erste Überraschung, dass meine Vorurteile sich nicht bestätigten! Interessierte, interessante Menschen leben hier – mit einem künstlerischen Anspruch und Niveau, das ich nicht erwartet hatte! Musik, Kunst, Literatur – hier trifft man alles – und das sozusagen zum Anfassen, ohne Distanz schaffenden Orchestergraben.

    Ein großes Vergnügen ist für mich in der Arbeit unserer Gruppe das Gespür für Wortspiele und Humor, auch sich selbst gegenüber. Ich treffe auf gute Kritikfähigkeit und wenig Arroganz oder Beleidigtsein, dafür aber auf das rechte Maß gegenüber sich selbst.

    Kunst braucht Publikum. Welche Rolle spielt dieser Gedanke in der Gruppe?

    Die Gruppe selbst ist immer das erste Publikum! Die erste Veröffentlichung erfolgt durch das Vorlesen in der Gruppe. Es schließt sich ein Feedback an, das manchmal noch einmal einen schöpferischen Prozess in Gang setzt.

    Nicht immer, aber doch immer wieder, ergeben sich weitere Möglichkeiten zur Veröffentlichung, auch für ein größeres Publikum. Einige Teilnehmer schreiben beispielsweise für Kirchenzeitungen.

    Im Raum stehen aber auch Überlegungen zu öffentlichen Lesungen, vielleicht in Verbindung mit Musik – und vielleicht auch schon Ende des Jahres!

    Welche Begegnung war besonders prägend während der Arbeit an dem Projekt?

    Da gab es nicht die eine Begegnung, die etwas verändert hat. Für mich war das besondere Erleben des Lebens auf dem Land prägend, weil bildend! Aus dem vorurteilsbeladenen Städter bildete sich einer, der die Welt kennenlernt, wie sie hier ist: Geprägt durch persönliche Kontakte, wirkliches Interesse der Nachbarschaft, zupackende Hilfe – und gepaart mit hohem Anspruch an das Leben und die Kunst.

    Auch in unserer Gruppe hat das persönliche Gespräch eine besondere Bedeutung. Es gibt wenig formale Hürden. Vielleicht ist es durch die Haltung dem Leben und dem Anderen gegenüber hier einfacher, ungekünstelt, also ohne den Umweg über die Kunst, über sich selbst zu reden? Vielleicht macht das den entscheidenden Unterschied zum Städter, wie er in meinem Kopf existiert, aus?

    Und wie geht es weiter?

    Es gibt keinen Grund aufzuhören! Schreiben ist wie langsames, reflektiertes Reden. So ist es beinah meditativ, eine Achtsamkeitsübung. Je mehr das geübt wird, umso besser! Gerade in der jetzigen Zeit ist es von besonderer Bedeutung.

    ​Ich danke herzlich für das Gespräch!
    Katja Gerlach

    Als Zugabe gibt es noch eine Kurzgeschichte von Karl Feldkamp:

    Der ganz normale Wahnsinn

  • Interview mit Wibke Brode – 07.10.2021

    Die leuchtenden Farben des Herbstnachmittags harmonieren aufs Schönste mit intensiv-farbigen Bildern, die die Wände im Haus von Wibke Brode zum lebendigen Museum werden lassen, mit den sich noch im Prozess entwickelnden Leinwänden in ihrem Atelier. Beim Betrachten der vielschichtigen, tiefgründigen Bilder öffnet sich der Betrachterin die Tür in eine ganz eigene Welt – schwingen zwischen Glitzer, Schellack, Blattgold und leuchtendem Pink orientalische Fantasien mit? Welche Geschichte verbirgt sich unter Schichten von Marmormehl, Kokosfasern, Wachs und Hasenleim, der trocknend aufbricht und darunter Liegendes erahnen lässt? Draußen arbeitet die Natur an ständiger Veränderung und Erneuerung – drinnen hat die Neu-Engelskirchenerin endlich genug Platz, um mit Farben und Material zu experimentieren, immer neue Ausdrucksformen zu finden für die schöpferische Energie, mit der sie sich beschenkt fühlt.

    Das Jahr 2021 hat Wibke Brode viele neue, erste Male beschert. Bescherung geschieht allerdings selten, ohne dass man selbst mit einer aktiven – vielleicht zunächst unbewussten – Impulsgebung für die Richtung sorgt: Mit ihrem Umzug von Köln ins Oberbergische entschloss sie sich, bei EngelsArt nicht nur Mitglied zu werden, sondern auch im Sprecherrat mitzuarbeiten – und als nächstes eine große Einzelausstellung im Baumwolllager zu präsentieren. Darüber werden wir heute sprechen.

    Was waren die ersten Schritte, die Motivation zu der Ausstellung „Kathedralen aus uns selbst“?​

    ​Die Möglichkeit, in Engelskirchen eine Ausstellung zu machen, hat meiner Kreativität einen ungeheuren Schwung gegeben! Seit Corona hat es keine Ausstellungen mehr gegeben – und mit einer Ansammlung von fertigen Bildern im Atelier erstickt man förmlich! Die Arbeit muss an die Luft, muss ein Publikum haben – meine Freude ist also entsprechend groß!

    Seit ich denken kann, fasziniert mich, wie es uns Menschen gelingt, Objekten eine Seele einzuhauchen. Wie kommt es, dass wir etwas schaffen, das dann als schön empfunden wird? Warum werden wir berührt durch Kunstwerke? Wie entsteht eigentlich diese spirituelle Aufladung von Bildern, Orten, Objekten? Das schlichte Kreuzzeichen enthält eine mächtige Aussage, ägyptische Götterstatuen haben über Jahrhunderte hindurch eine immer wieder erkennbare Form, die zum Ausweis für ihre Göttlichkeit wurde. Tempel, Moscheen, Kirchen, alle heiligen Stätten ziehen Menschen in ihren Bann, lenken die Aufmerksamkeit – auf Gott!? Oder nach Innen?!

    „Kathedralen aus uns selbst“ – der Titel meiner Ausstellung schlägt da einen Bogen. Ich erschaffe mit dem Bild einen Raum, der sowohl für mich als auch für die Betrachter alles möglich macht: Welche Gefühle löst der Anblick aus? Was geschieht mit mir? Alles, was in uns ist, darf sich zeigen, frei von jeder Bewertung.

    Gab es von Anfang an ein Ziel? Oder ist der Weg das Ziel?

    Ich arbeite ohne Vorstellung und ohne Plan. Der Zufall spielt in meinem Leben und in meinem Werk eine große Rolle. Die Begegnung mit ihm ist für mich eine beglückende Erfahrung! Auf beinah magische Weise wirkt so jemand mit an meiner Arbeit, ich bin nicht alleine. Es ist ein bisschen so, als würde ein göttliches Wesen mitmachen und das Werk beseelen. So entsteht ein inniger Dialog – und meine Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein und zu erkennen, was sich zeigen will.

    Ich betrachte den Zufall als Chance – durch ihn wächst mir etwas zu, das vielleicht größer ist, als ich es je hätte denken können. Dabei habe ichtiefes Vertrauen und kann gut annehmen, was da kommt. Alles darf passieren. – Auch die schweren Momente, die Brüche im Leben müssen sich zeigen, hinterlassen Narben. Das kann man gut an den Hasenleimbildern sehen, bei denen die Oberfläche aufbricht und so neue Strukturen schafft, ohne jedoch das Bild zu zerstören oder ihm etwas zu nehmen. Gerade diese sich öffnenden Bruchstellen machen tiefere Einblicke möglich, ziehen das Interesse auf sich, fordern neue Lösungen – im Bild genau wie im Leben.

    Mich trägt eine positive Grundeinstellung, ein Fundament aus Heiterkeit, Optimismus und Vertrauen. Dafür bin ich sehr dankbar, da es innerlich unglaublich frei macht. Ich muss mich nicht an Sicherheiten klammern, wenn ich denke, dass der vor mir liegende Weg sich im Gehen gestalten wird. Ich bin nicht festgelegt, kann gut auf mein Gefühl hören und das, was ich wahrnehme, spielerisch umsetzen.

    Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg?

    Das Spiel mit neuen Materialien, die schier unendlichen Möglichkeiten und Erfahrungen beim Experimentieren sind das schönste Seelenfutter für die Künstlerin in mir! Das größte Vergnügen ist die Neugier auf das nächste Bild! Jedes ist eine Überraschung, kann eine Spur fortsetzen, aber auch gänzlich anders werden.

    Anfangs habe ich tief weinrot monochrome Bilder gemalt, die eine gewisse Dramatik ausstrahlten. Ohne eine Antwort darauf zu finden, habe ich mich schon gefragt, was mir jemand damit sagen will, dass ich so hartnäckig bei dieser Farbe geblieben bin. Im Laufe der Zeit haben sich die Bilder verändert: Pink überwiegt, lebensbejahend, fröhlich, das Leben feiernd!

    Die Bilder entwickeln sich, wachsen langsam, trocknen, reißen auf, werden geschliffen, aufgeraut, lackiert, übermalt. Farben stoßen sich ab, fließen, vermischen sich – oder auch nicht – jedenfalls ist nicht alles vorhersehbar, was da heranwächst. Die Bilder haben tatsächlich ein starkes Eigenleben und haben, wie jedes Individuum, ihre Berechtigung aus sich selbst heraus. Jedes Bild ist wie die Stufe einer Leiter – der jeweils nächste Schritt ist nur möglich, weil der vorhergehende gemacht worden ist. Die Abfolge der Bilder ist beinah wie ein Tanz – ein Schritt ergibt sich nach dem anderen. Man muss sich nur der inneren Melodie hingeben.

    Kunst braucht Publikum.  Welche Rolle spielt der Gedanke an das Publikum bei der Arbeit?

    So wie die Bilder vom Einwirken des Zufalls belebt und beseelt werden und nicht einem von mir ersonnenen Konzept folgen, so ist auch die Reaktion des Publikums nicht planbar. Das Publikum ist mein Resonanzkörper! Seine Reaktion löst meine Kreativität aus. Meine Bilder sind mein Beitrag zu unserer Kommunikation. Ich zeige, was in mir ist, ganz unmittelbar, ohne dem Bild einen Namen zu geben. Der Betrachter darf so unbeeinflusst sehen, was für ihn oder sie sich zeigt. Wenn dann jemand mein Bild annimmt, macht mich das glücklich.

    Welche Begegnung war besonders prägend?

    Wenn man unterwegs ist mit seiner Kunst, sucht man natürlich Orientierung, vielleicht Wegweiser, Lehrmeister, will sich vergleichen. So hatte ich auch lange eine Messlatte im Kopf und war nicht sicher, wie ich mich selbst einschätzen konnte. Bei einem Tag des offenen Ateliers begegnete ich so einer erfolgreichen Malerin, die wie ich monochrome Bilder malte. Wie gern wollte ich lernen – und wie enttäuscht war ich, als mir klar wurde, dass diese Bilder keine Geschichte hatten, dass sie nicht Ergebnis einer inneren Auseinandersetzung waren – jedenfalls keiner, die sich in Worten mitteilen ließen. Dieses Erlebnis war ein richtiger Impuls für mich – ich konnte ganz neu stolz auf mich sein, wusste, dass ich meinem Weg weiter folgen werde.

    Und wie geht es weiter?

    Mein Traum ist es, von meiner Kunst leben zu können! Ich werde also weiter an Ausstellungen teilnehmen, Einzelausstellungen organisieren und mein Publikum suchen. Nach der Coronazeit mit Einschränkungen und großen Unterbrechungen ist in vieler Hinsicht ein Neuanfang nötig und möglich – ich sehe das als Chance!

    ​Für ein intensives Gespräch mit nachhaltig belebender Wirkung bedanke ich mich!
    Katja Gerlach

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