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  • Interview mit Achim Lahr – 13.09.2023

    Achim Lahr treffe ich zu Hause, in der Küche. Frischer Apfelkuchen duftet lecker, auf den Ablagen ringsum stapeln sich Bücher, frisch gedruckt, Flyer, selbst gestaltete für Veranstaltungen von EngelsArt und gesammelte von interessanten Events, Informationen und To-Do-Listen.

    An den Wänden hängen Bilder und Fotos, die eine Einstimmung geben in das Leben der Familie: bunt, lebenslustig, reisebegeistert, aktiv, immer mittendrin. Für Achim könnte der Tag gut mehr Stunden haben, aber auch so passt viel hinein in sein (Ruhe(?)-stands-)leben: Immer gefragt, wenn es um Organisation und Technik geht, immer gut für neue Ideen, die dann auch umgesetzt werden, immer mit wachem Blick unterwegs, um Motive für seine Bilder zu entdecken – und dann auch noch Zeit, um den Tag im Garten oder Pool ausklingen zu lassen und die Sterne zu betrachten. Man tut gut daran, bequeme Schuhe zu wählen für das Stück Weg, das in diesem Gespräch beschritten wird! (Achim hat viele, auch farbenfrohe Exemplare davon im Schrank!)

    Erste Schritte – wie kamen Kunst und Kulturarbeit in dein Leben?

    Kunst erleben, Ausstellungen und Konzerte besuchen, das war immer schon meine Leidenschaft. Besonders schön ist es natürlich, dass ich mein Interesse inzwischen auch mit meinen Töchtern und meiner Frau teile. Mit einer von ihnen nahm ich zuletzt an einem Workshop im Hans Arp Museum teil. Meine Frau schenkte mir vor vielen Jahren einen Malkurs in der Gruppe „Farbspiel“ in Rösrath – als Ausgleich zu meinem Beruf. Über viele Jahre fand ich dort, was ich für meine künstlerische Entwicklung brauchte: Anregungen zu neuen Techniken, Austausch mit Gleichgesinnten und die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, indem wir Ausstellungen organisierten. Dort lernte ich Zeichnen, später auch vor allem Landschaftsmalerei.  Aus gegenständlichen Bildern, etwa in Erinnerung an Reisen nach Venedig, wurde mehr und mehr abstraktes Spiel mit Farben. Landschaften prägen sich mir vor allem durch die Farbigkeit ein – die Atmosphäre, die durch unterschiedliche Lichtverhältnisse, die Jahreszeiten, Sonnenauf- oder untergang geschaffen wird, möchte ich im Bild einfangen. Mit Pinsel und Spachtel bringe ich kräftige Farben auf Papier, Holz oder Leinwand – so empfinde ich die starke Energie von Landschaft und Natur.

    Schon in meiner ersten Malgruppe ging mein Engagement über die Malerei hinaus: Wenn wir eine Ausstellung planten, gehörte Werbung, der Druck von Plakaten und Flyern und das Hängen der Bilder dazu. Schon immer war ich technikbegeistert, dazu durch meinen Beruf als Radio- und Fernsehtechniker erfahren auch im Durchführen von großen Veranstaltungen. Ich konnte also gar nicht anders, als diese Fähigkeiten auch in der Ausübung meines größten Freizeitvergnügens einzusetzen.

    2017 begann mein Ruhestand – und das war auch der Beginn meiner Mitarbeit bei EngelsArt. Die Aktivitäten der Gruppe kannte ich schon, die Neugier trieb mich zum Jour fix, mein Interesse an der Kulturarbeit und meine Lust, neue Kontakte zu knüpfen, führte schnell dazu, dass ich im Sprecherrat mitarbeiten konnte. Das mache ich bis heute.

    War das von Anfang an das Ziel für den neuen Lebensabschnitt, den Ruhestand? Oder ist der Weg das Ziel?

    Da steckt kein Plan dahinter! Vielleicht ist das auch genau der Charme des Ruhestands, dass man die Chancen ergreifen kann, die sich bieten – ganz nach dem freien Lustprinzip!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg? Gab es Überraschungen?

    Für meine Arbeit bei EngelsArt besteht das größte Vergnügen in der Gestaltung der Technik. Seit 2019 bin ich da mehr und mehr zuständig und habe zum Beispiel die Organisation der Licht- und Tontechnik für die Engelsrevue übernommen. Außerdem gab es Videoclips, die die Aufführung begleiten sollten – leider konnten wir die Show durch Corona – und schließlich durch den Tod von Harry Cremer, der Autor, Initiator und Seele des Stücks war, nicht aufführen. – Zuletzt gab es viel Zustimmung zu der Ausleuchtung der Bühne und Lichteffekte bei Amöbenpank, der Band von Manuele Klein und Detlev Weigand. Mit wenig Aufwand tolle Effekte zu erzielen, ist für mich immer eine tolle Herausforderung.

    Das letzte große Projekt, an dem ich mitarbeiten durfte, war die Skulptur zur Städtepartnerschaft für die Gemeinde Engelskirchen. Das Vergnügen gipfelt jetzt in einem Kunstwerk im öffentlichen Raum – das erfüllt mich natürlich auch mit Stolz. Bis dahin war der Weg lang und gestaltete sich durch sehr vielfältige Aufgaben: zunächst die gemeinsame Planung mit Renate Seinsch, Manuele Klein und Detlev Weigand, dann die Suche nach Sponsoren und schließlich die Realisierung des Projekts und dadurch die Kontakte zu verschiedenen Gewerken der Metallbearbeitung. So konnte ich den Weg eines Kunstwerks wirklich von Anfang bis Ende begleiten – das war schon ein besonderes Erlebnis.

    Für mich als Künstler ist es natürlich ein besonderes Vergnügen, wenn meine Bilder gefallen, vielleicht auch gekauft werden. Wenn ich an meine Bilder und an die Entwicklung der letzten Jahre denke, fallen mit zwei Ereignisse ein, die auf den ersten Blick nichts, dann aber wieder viel gemeinsam haben und bei denen Vergnügen mitschwingt, leider aber auch eine eher böse Überraschung: Island und Corona.

    2020 war ich nur für drei Tage auf Island, aber dieser Aufenthalt hat mich sehr beeindruckt. Die Landschaft in dieser extremen Gegend, dazu die unglaubliche Stille – das hat noch lange nachgewirkt. Die Bilder, die nach dieser Reise entstanden, sind eher Farbkompo-sitionen als Landschaften. Die Beschäftigung mit diesem Thema dauerte lang und zog sich durch die Corona-Zeit.

    In dieser extrem außergewöhnlichen Zeit erlebten wir alle einen Stillstand, dadurch auch viel stille, planungsfreie Zeit mit Raum für Kreativität.

    Kunst braucht Publikum – was bedeutet dieser Satz für dich?

    Applaus ist der Lohn des Künstlers! Ich freue mich über Menschen, die meine Kunst anspricht, genauso wie über das Feedback an uns als Veranstalter. Wie oft hören wir Anerkennung zur Gestaltung der Räume und zur Durchführung von Veranstaltungen. Das motiviert mich immer wieder, weiterzumachen!

    Ich denke auch, dass wir mit unserer Arbeit bei EngelsArt genauso wie ich mit meiner Malerei zeigen kann, dass man etwas bewegen kann. Wenn ich also dem Publikum etwas sagen wollte, wäre es so etwas wie: Mut zur Farbe! Keine Angst vor Aktionen! Rauf auf die Bühne! Bewegt euch!

    Welches Ereignis war besonders prägend während der Zeit deiner aktiven Kunst- und Kulturarbeit? Hat es etwas verändert?

    Corona! Da gab es ein bisher nicht gekanntes Erleben von Endlichkeit. Das setzt sich natürlich mit zunehmendem Alter fort – man feiert mehr Begräbnisse als Hochzeiten.

    Diese Zeit hat uns einen Schrecken versetzt, uns aber gleichzeitig vielleicht sensibler gemacht. Ich weiß noch mehr, was ich schätze und was mein Leben als Mensch und als Künstler prägt: Der Zusammenhalt in der Familie ist mir wichtig, die Begegnung nicht nur, aber auch bei Festen. Die Reisen der letzten Jahre nach Südamerika und Afrika haben meinen Blick in die Welt geöffnet: Die überwältigende Natur, fantastische Landschaften in allen Schattierungen wahrzunehmen, erfüllt mit großer Begeisterung. Und gleichzeitig wird mir bewusst, wie klein und unbedeutend wir sind. In der Malerei kann ich solchen Eindrücken noch intensiver nachspüren, als wenn ich nur ein Foto mache. Die Natur ist für mich die größte Künstlerin – und der Mensch ist gleichzeitig ihr größter Bewunderer und auch Zerstörer.

    Und wie geht es weiter?

    Ich stecke voll positiver Energie, voller Lust auf neue Entdeckungen. Also: nichts aufschieben! Die Zeit nutzen! Nicht nur planen, auch machen!

    Ich danke herzlich für ein intensives Gespräch!
    Katja Gerlach

    Weitere Infos zu Achim Lahr:

    https/farbspiel.eu

  • Interview mit Renate Seinsch – 04.08.2023

    Erste Schritte mit Renate Seinsch

    Eine maisgelbe Jacke wärmt sie an diesem trüben, regnerischen Sommertag, goldgelb leuchtet ihr Schmuck wie um dem Wetter und den allgemeinen Umständen etwas Glanz und Licht entgegenzusetzen – mit dem vertrauten breiten Lächeln öffnet Renate Seinsch mir die Tür in ihrem Haus in Birnbaum.

    ​Die vielen kleinen Räume haben einen hohen Unterhaltungswert: Ihre Bilder erzählen von ihrer unerschöpflichen Kreativität, der Vielseitigkeit ihres künstlerischen Ausdrucks, von einem wachen Blick auf ihre Umgebung und tiefem Verständnis und oft auch ihrem Witz, mit dem sie darauf reagiert.

    Der Sommer 2023 geht als heißester Sommer seit Menschengedenken in die Geschichte ein – nur in Deutschland und besonders in Oberberg bleibt es regnerisch und kühl. So findet unser Gespräch nicht im Garten, sondern in der gemütlichen Küche statt. Ach, Garten! Was sage ich! Ein ganzes großes Stück Land ist hier bepflanzt, gestaltet, belebt, von den Bewohnern sichtlich immer wieder bestaunt und geliebt – ein wahres Paradies, umfriedete Natur, die immer wieder Inspiration für ihre Kunst war und ist.

    Die Ausstellung „Die Bilder fliegen mich an“,
    die im September im Alten Baumwolllager gezeigt wird, ist schon lange geplant – und doch ist dieses Jahr alles anders. Diese Retrospektive zum 85. Geburtstag sollte Teil einer großen, fröhlichen Feier werden. Aber der Sommer entwickelte sich ganz anders als gedacht: Jörn Seinsch, Renates Mann, wurde mitten in der Gartenarbeit von einem Schlaganfall getroffen und starb Ende Juni.

    Alles ist anders – und die Gleichzeitigkeit von Trauer, Schmerz und Lebensmut und Gestaltungswillen wird beinah körperlich erfahrbar. Plötzlich auf sich gestellt, nach 60 Jahren Ehe allein im großen Haus, umgeben von Erinnerungen, zeigt sich auch das, was Renate Seinsch immer ausgemacht hat: Sich aufrichten, in ganzer Größe und mit lauter Stimme furchtlos kundtun, was sie will und denkt. Die Ausstellung wird eröffnet werden! Das Interview findet statt! Auch Staunen und Freude über das eigene Leben, Lachen, Glückwünsche und Applaus haben ihren Platz! Die Geschichten, die man anderen erzählt, das Lachen, das man aussendet, kommen auch wieder zu sich selbst zurück: Das kann man im Zusammensein und im Gespräch mit Renate erleben.

    Die Ausstellung, die am 02. September eröffnet wird, zeigt Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen eines langen Künstlerlebens. Wo beginnen da die „ersten Schritte“?

    Schon in der Schule baten meine Freundinnen mich, ihre Bilder zu vervollständigen – seit ich denken kann, male und zeichne ich leidenschaftlich. Gerne wäre ich Modezeichnerin geworden, aber meine Eltern waren gegen eine Ausbildung. So arbeitete ich ein paar Jahre bei der Deutschen Bank in Bonn als angelernte Kraft und bekam sicher das originellste Arbeitszeugnis, das man als Bankangestellte so kriegen kann. Neben meinem Fleiß und meinem Engagement wurde besonders gelobt, wie ich mich durch das Zeichnen von Glückwunsch- und Weihnachtskarten aller Art, durch Illustrationen in der Firmenzeitung und zu anderen Gelegenheiten verdient gemacht hatte.

    Die folgsame Tochter hat also still und heimlich doch ihr Ziel verfolgt?

    Ich könnte nicht sagen, dass ich einen Plan hatte, dass ich damals schon wusste, wo der Weg hingehen würde. Aber ganz sicher gab und gibt es einen unwiderstehlichen Drang in mir, mich künstlerisch auszudrücken – und dafür habe ich immer alles getan. Über vier Jahrzehnte besuchte ich Lehrgänge; vor allem die Bonner Maler Jean Dotterweich und Manfred Weil vermittelten mir grundlegende Kenntnisse in der Ölmalerei, bei der Studiengemeinschaft Darmstadt lernte ich Karikatur und Zeichnen sowie in der PH Bonn Aktmalerei, schließlich absolvierte ich auch eine Akademieausbildung mit Abschluss der Meisterklasse an der Malakademie Köln. Die bildende Kunst ist mein bevorzugtes Mittel, um mich auszudrücken – und darin wollte ich einfach so gut wie möglich werden.

    Lange glaubte ich aber nicht wirklich an die Möglichkeit eines Erfolgs. Das änderte sich schlagartig 1967: Damals gab es ein Preisausschreiben der Frauenzeitschrift Constanze zusammen mit dem Hersteller von Q-Tipps unter dem Titel: „Mütter malen mit Wattestäbchen. Aus der Welt meines Kindes“. Am letzten Tag reichte ich meinen Beitrag ein: Auf einem schmalen Pappkarton gemalt, schaut ein kleiner Junge seinem Luftballon nach. Per Telegramm erhielt ich die Nachricht, dass ich den dritten Platz unter 700 Einsendungen gemacht hatte. 300 DM gab es – eine anständige Summe Geld, für die wir uns einen Teppich kauften! Dazu eine Ausstellung im Künstlerhaus München – da wurde selbst meinem Mann endgültig klar, wen er da geheiratet hatte! Er richtete mir gleich ein Atelier in unserem Haus in St. Augustin ein, das ich aber eigentlich nie richtig nutzte. Familie, Mitarbeit in unserer Kanzlei, die Arbeit im Haushalt – da passte es für mich nicht, mich ins Atelier zurückzuziehen.

    Folgsame Tochter – das passt ganz gut zu mir, eigentlich überraschend gut, wenn ich mich mit den Blicken anderer sehe. Mitschülerinnen, Mitstudierende, später auch andere Wegbegleiter kennen mich als eine forsche Person, die keine Scheu hat, den Mund aufzumachen, sich auf die Bühne zu stellen, ihre Meinung zu vertreten. So hatte ich oft die Rolle der Wortführerin, derjenigen, die Reden schwingt – und der Erfolg, den ich damit hatte, besiegte meine Unsicherheit. Aus einer braven Tochter und Schülerin ist heute eine richtige Macherin geworden! Man wächst eben mit den Aufgaben, die man übernimmt!

    Folgsam war ich auch lange in der Zeit meiner künstlerischen Ausbildung. Treu folgte ich meinen Lehrern, machte ihre Aufgaben zu meinen – erst allmählich entwickelte ich meinen eigenen Stil. Mein damaliger Lehrer Leyendecker in der Malakademie unterstützte mich, als ich in einem Kurs bei ihm anfing, Kühe zu malen, so wie ich sie sah und wie ich sie zeigen wollte. Daraus wurde ein ganzer Zyklus mit Nutztieren. Mein Mann Jörn und ich, wir begannen damals, uns aktiv für den Tierschutz einzusetzen – mein künstlerischer Ausdruck hatte einen wirklichen Antrieb.

    Es dauerte dann aber noch einmal, bis der Knoten wirklich platzte.
    Das war bei meiner ersten Einzelausstellung 1999 im Heimatmuseum in Bergneustadt mit dem Titel „Viechereien“. Die Anerkennung beflügelte mich! Gleich sieben Bilder verkaufte ich!

    Und dann kamen Anfragen von der Stadt Gummersbach, vom Lions-Club, die mich baten, bei Ausstellungen mitzumachen. Plötzlich hingen meine Bilder nicht nur im Oberbergischen Kreis, sondern zum Beispiel auch in Frankreich, in unserer Partnerstadt LaRoche.

    Mich brachte also weniger mein eigener Ehrgeiz, ein Ziel zu erreichen, nach vorne, sondern eher die Erfahrung, gefragt zu werden. Diese Reaktion auf meine Kunst ist ein ganz wesentlicher Glücksmoment, aus dem Energie für den weiteren Weg erwächst.

    Was ist das größtmögliche Vergnügen auf deinem Weg als Künstlerin?

    Ideen zu meinen Bildern sind nicht das Ergebnis langer Überlegungen. Bilder fliegen mich an – und dann werden sie gemalt! Die höchste Befriedigung gelingt natürlich nicht bei jedem Bild, aber der schönste Lohn für mich ist, wenn mir ein Bild gelingt, das ich als vollkommen im Ausdruck empfinde. Oft ist das der Fall, wenn man in einen Flow gerät, einfach getragen wird, ein Werk in einem Guss vollenden kann, ohne großes Nachsinnen oder Korrigieren. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl! Man könnte singen, tanzen, jauchzen, sich betrinken – man erlebt, wie die innere Energie Gestalt, Form und Farbe annimmt – einfach umwerfend!

    Kunst braucht Publikum – was willst du deinem Publikum mitteilen?

    Meine Bilder teilen sich selbst mit – da braucht es keine Erklärung. Der Betrachter sieht, was für ihn wichtig ist und spürt, was ihn anspricht. Wenn ich meinem Publikum etwas mitteilen will, dann eher ganz grundsätzlich: Für mich ist ein Leben ohne kreativen Ausdruck undenkbar – und so oft hat mir die Kunst geholfen, auch schwierige Lebensphasen zu meistern. In meinen Bildern, in meinem künstlerischen Schaffen habe ich immer einen Weg gefunden, diese Künstlerinnenseele in mir lebendig zu halten – und dort liegt oft die Quelle meiner Energie und Lebensfreude. Wenn sich jemand durch mich anstiften lässt zu Kreativität, dann finde ich, meine Botschaft ist angekommen!

    Im Übrigen: Sobald ein Bild an die Öffentlichkeit geht, tut meine Aussage nichts mehr zur Sache.
    Der Betrachter sollte seine eigene Interpretation finden, die ausschließlich seiner Gefühls-
    und Denkart entspricht.

    Welche Begegnung war besonders prägend auf deinem künstlerischen Lebensweg?

    Lange habe ich an mir selbst, an meinen Fähigkeiten und Fertigkeiten gearbeitet und mich ausgebildet – mein wirkliches Leben als Künstlerin begann aber damit, dass ich von anderen wahrgenommen wurde und plötzlich zu einer Gruppe von Menschen gehörte, die ebenfalls als Künstler in der Öffentlichkeit auftraten. Die Begegnung mit anderen, der Austausch, gemeinsame Projekte, das Gefühl, andere zu begeistern mit dem, was man tut – das sorgt für eine Lebendigkeit, eine Fröhlichkeit, die man alleine im Atelier nicht erreicht.

    EngelsArt, die Kunst- und Kulturinitiative in Engelskirchen, ist da natürlich ein ganz besonderes Beispiel! 2000 war ich als Gründungsmitglied dabei, als sich die Gruppe zusammenschloss, um Kulturarbeit in Engelskirchen lebendig zu machen. Bis heute bin ich Mitglied im Sprecherrat. Anfangs hatten wir noch nicht das Alte Baumwolllager als Spielstätte, sondern bewegten uns mit einer Kulturkarawane durch die Stadt, hielten Lesungen auf dem Hit-Parkplatz ab oder veranstalteten Konzerte und Events in Privathäusern. So auch 2002 bei den Birnbaumer-Kunsttagen auf unserem Grundstück – ein fantastisches Fest mit 20 Künstlerinnen und Künstlern, die bei uns im Garten, im Stall und auf dem ganzen Gelände ausstellten. Das Publikum brachte sich zum Teil Picknickdecken mit und feierte zwei Tage lang!

    2005 fand eine große Ausstellung unter dem Titel „Wertlos“ im Park hinter der Engelsvilla statt – dort präsentierte ich meine „Wanderstühle“. Mit EngelsArt zusammen organisierte ich jedes Jahr die Tage der offenen Ateliers, durch die sich Künstlerinnen und Künstler in ganz Oberberg präsentieren konnten.

    Dadurch knüpfte ich so viele Kontakte und schloss Freundschaften – mein Engagement bei EngelsArt förderte mein Selbstbewusstsein ordentlich! – Selbst die Coronazeit wurde durch EngelsArt erträglicher – Teil unserer Aktionen waren auch meine Frauenporträts in den Schaufenstern von Ründeroth und Engelskirchen, die als Mutmacherinnen auftraten!

    Wir begegnen dir und deinen Werken ja auch immer mal wieder in der Öffentlichkeit!

    Ja, der Ankauf von Bildern für die Rathausgalerie in Gummersbach und die Tatsache, dass meine Hühner beim Bundesverband der deutschen Geflügelzüchter in Berlin hängen – das macht mich schon sehr stolz! Außerdem durfte ich das Altarbild der Heiligen Elisabeth in der katholischen Kirche in Nochen gestalten und erhielt dafür sehr berührende Reaktionen. Und einer meiner Wanderstühle aus der Aktion „Wertlos“ steht als Andenken daran im Foyer der Engelsvilla. Zuletzt wurde die Skulptur zur Städtepartnerschaft von Engelskirchen und Plan de Cuques in Frankreich und Mogilno in Polen vor dem Rathaus in Engelskirchen eingeweiht. Dieses Symbol der Partnerschaft und Freundschaft ist eine Gemeinschaftsarbeit mit Manuele Klein, Detlev Weigand und Achim Lahr.

    Und wie geht es weiter?

    Am liebsten immer weiter so! Aber ich weiß natürlich, dass die Endlichkeit des Lebens mich einschränkt. Große neue Pläne mache ich nicht. Trotzdem: Ich möchte immer weiter dabei sein! Das Leben im Jetzt wird immer wichtiger. Ich bin offen für die Veränderung, die diese Phase mit sich bringt. Welche Themen werden mich jetzt anfliegen? Wie werden meine nächsten Bilder aussehen? Ich vertraue auf meine Lebendigkeit – alles wird sich zeigen!

    Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch!

    Katja Gerlach


    Und hier gibt es mehr zu sehen von Renate Seinsch:

    http://www.renate-seinsch.de/

  • Interview mit Karsten Haider – 15.04.2021

    Eintreten und eintauchen in eine vielfach verschachtelte Welt, die Schätze offenbart, die man so mitten in Ründeroth kaum erwartet: Augenschmaus und haptisches Vergnügen bietet gleich am Eingang eine Sammlung alter Buchbinder-Werkzeuge. Die Fülle an Eindrücken und Bildern fordert geradezu auf, die Geschichte des Bewohners und seiner facettenreichen Kunst zu ergründen.


    Karsten Heider hat gemeinsam mit Anke Ahle im vergangenen Oktober die Ausstellung im Baumwolllager zur Ründerother Geschäftsbücher-fabrik Gustav Jaeger zusammen-getragen und dort künstlerische Handeinbände der Meister der Einbandkunst präsentiert.

    Ausstellungsstücke aus der alten Bücherfabrik liegen und hängen nun griffbereit in den Räumen des Antiquariats Peter Ibbetson und in seiner Buchbinderwerkstatt. Durch langen Gebrauch liegen die Griffe geschmeidig in der Hand, der Achatglättzahn zur Goldschnittherstellung fällt der Betrachterin nicht nur durch seinen Namen sofort wieder auf – Scheren in zupackenden Größen für Leder, Stoff und Papier hängen an einem Eichenbalken, in großen Schubladen lagern historische Prägeschriften aus Messing, Jugendstil-Vignetten und unzählige Schmuckelemente und warten darauf, auf Ledereinbände geprägt zu werden. Spindelpressen, Gewichtsteine, Prägepresse und Schneidemaschine finden in jeder Ecke ihren Platz. Pappen und Papiere, klanghartes Roma-Bütten, ein handgefertigtes, hochwertiges Baumwollpapier, das sich wie rauer Stoff anfasst, samtiges Nepal Papier, Pergament, Oase-Ziegenleder und Kabeljauleder, aber auch glatt geschliffene Holzstückchen – das ist eine Auswahl des Materials, mit dem Karsten Heider arbeitet, wenn er sich seiner künstlerischen Tätigkeit, der Einbandkunst, widmet.

    Erste Schritte – wie kamst du dazu, dich nicht nur als Antiquariats-buchhändler mit Büchern zu beschäftigen, sondern sie auch als Kunstobjekt zu gestalten?

    Die Hinwendung zur künstlerischen Tätigkeit als Buchbinder lag eigentlich auf dem Weg. Schon als Kind war ich fasziniert von der Ästhetik der Geschäftsbücher, vor allem der Marmorschnitte, die mein Vater als Buchbinder in der Ründerother Bücherfabrik Jaeger herstellte. Das Interesse an Gestaltung und Illustration und meine eigenen künstlerischen Fähigkeiten waren früh geweckt. Aber erst später lernte ich von meinem Vater, Schuber für Bücher meiner Sammlung herzustellen – damit war der erste Schritt zur Arbeit in dem Handwerk des Buchbinders getan. Darauf folgte das Interesse an der eigenen künstlerischen Gestaltung der äußeren Form des Buchs. Als ich dann mit dem Umzug nach Ründeroth vor sieben Jahren auch die Werkstatt meines Vaters übernahm, war das sicher der entscheidende Schritt, nicht nur die Technik des Buchbindens immer weiter zu verfeinern, sondern vor allem mit Farben und Material zu experimentieren.

    Gab es von Anfang an ein Ziel? 

    Einmal angefangen, war schnell klar, dass die Buchbinderei einen immer größeren Raum einnehmen würde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass die Kunst nicht zum Broterwerb werden sollte. Als Antiquar beobachte ich, dass sich das Interesse der Sammler ändert: Das Interesse an Werk- und Erstausgaben nimmt ab; stattdessen gewinnt der Objektcharakter des Buchs an Bedeutung. Bei den zum Teil skulpturalen Einbänden überwiegt oft der ästhetische Ausdruck – das Interesse an Autor und Inhalt ist teilweise sogar nachgeordnet. – In dieser Hinsicht unterscheiden sich meine Auswahl und mein Vorgehen!

    Wie gestaltet sich dein Weg?  

    Natürlich finde ich es auch reizvoll, Bücher in außergewöhnlichen Formaten, zum Beispiel bibliophile Drucke mit Original-Grafik zu binden. So arbeite ich gerade an „Das Schöne“, einer Festgabe für Karl Klingspor, mit einer ungewöhnlichen unsymmetrischen Deckelform, die auch noch eine besondere Herausforderung an den Bau des Schubers stellen wird! Neben der Ästhetik der Form spielt aber bei der Auswahl immer auch der Inhalt eine große Rolle. Der „Golem“ von Gustav Meyrink mit seinem dunklen reliefierten Einband und den mit einer alten Tapetenmusterrolle handgefertigten Vorsatzpapieren verweist auf die Kulisse eines düsteren Prag. Der Einband von Grimms Märchen zeigt einen Baum – tief verwurzelt, mit breitem Stamm und giftgrünem Laub – als Hinweis auf Hexenkunst und magische Elemente.

    „Das Märchen“ von Novalis ist verpackt in einer Traumlandschaft. „Dracula“ und „Frankenstein“ verbreiten schon durch die farbige Gestaltung des Einbands Grusel. Dracula zeigt eine applizierte rote Zunge aus Straußenbeinleder am Rücken – Frankenstein ziert eine grob zusammengenähte Narbe. – Aktuell entferne ich mich aber von den Anfängen meiner „wilden“ Zeiten und arbeite mit reduzierter Formen- und Farbensprache. So etwa bei Schillers „Wallenstein“ oder Goethes „Römischen Elegien“.

    Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg? Und was die größte Überraschung?

    Wenn die Vorstellung und die Realisierung übereinstimmen, wenn das Werkstück rundum gelungen ist, bedeutet das natürlich ein besonders großes Vergnügen – das man allerdings nicht allzu häufig erlebt. Überraschungen sind häufiger: Gerade wenn etwas vermeintlich schiefgeht, entsteht oft erst Neues. Der gut geplante Weg, der unbeirrt zu Ende verfolgt wird, ist gar nicht immer der Königsweg. Erst wenn man etwas neu bedenken, verändern, vielleicht sogar zerstören muss, kann man über sich selbst hinauswachsen. Neues entsteht nur dadurch, dass man zulässt, nicht alles selbst zu steuern.

    Kunst braucht Publikum – braucht Kunst Publikum? 

    Natürlich zeige ich gern! Ich freue mich über die Gelegenheit zu Ausstellungen und zu Präsentationen im Internet und auf Messen. Dort kann mich jeder sehen, der mich sehen will. Aber meine Kunst hat vor allem Wert für mich. Daher sind meine Werke auch nur sehr selten verkäuflich.

    Und wie geht es weiter? 

    Ich hoffe, dass es noch lange weitergehen kann! In der künstlerischen Arbeit erfahre ich nicht nur tiefe Zufriedenheit, sondern auch, dass der kreative Prozess ungeheuer viel Energie braucht!

    Angedacht ist tatsächlich eine Ausstellung gemeinsam mit dem Wuppertaler Buchkünstler Roger Green über ein besonderes politisches Thema in der Buchkunst: „Holocaust-Art“ beschäftigt sich mit Illustrationen und Texten von Überlebenden, aber auch mit zeitgenössischer Kunst, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Dabei geht es darum zu zeigen, dass Erinnern auch ästhetisch sein darf! Wenn man das Erinnern nur auf den Schrecken der Geschichte verkürzt, missachtet man die Bedeutung der ästhetischen Gestaltung, die aber oft eine ganz eigene Wichtigkeit hat. Ein Beispiel ist das Buch von Bernard Aldebert „Chemin de croix en 50 stations – de Compiègne à Gusen II en passant par Buchenwald, Mauthausen, Gusen I“.

    Die handbemalten Leinendeckel sind mit einer Schusterraspel geprägt und mit einem Hammer traktiert worden, um den Versuch der Zerstörung im KZ auch haptisch erfahrbar zu machen. Ein anderes Buch zu dieser Reihe ist „Chansonnier à Buchenwald. Chanoir“ von 1949. Auf dem steingrauen Lederdeckel habe ich ein stilisiertes Zitat aus einer Lithographie aus dem Buch übernommen, das den Schlafsaal eines KZ zeigt. Bei dieser Arbeit stellt sich die Frage nach der Wirkung ganz neu.

    ​Für ein sehr intensives Gespräch bedanke ich mich.
    Katja Gerlach

    Weitere Infos: http://www.antiquariat-peteribbetson.de