Kategorie: Interview

Interviews mit Künstler*innen – Erste Schritte und Who is Who

  • Interview mit Michael Domas – 25.10.2023

    Michael Domas eröffnet unser Telefongespräch mit einem seiner Gedichte!

    Den Verächtern des Leibes

    (Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe als in deiner besten Weisheit – Friedrich Nietzsche)

    Poesie ist oft verfänglich,
    wenn der Dichter nicht zu bänglich.
    (Freilich müssen auch die Scheuen
    ihr Verhalten nicht bereuen.)

    Anyway, kommt es zum Akte
    (schön ist das für gänzlich Nackte),
    wird sich was im Fleische zeigen
    und die Verse übersteigen.

    Tuen wird der Leib das Ich statt
    es zu reimen. Was es nicht hat,
    das Gedicht, der Leib wird’s sagen
    und in neue Verse tragen.

    So bin ich aufs Schönste eingestimmt auf unseren gemeinsamen Spaziergang zu der Veranstaltung „Die Kunst über die Liebe“, die am 4. November im Alten Baumwolllager erlebt werden kann.

    Michael Domas schreibt selbst Texte, vor allem Gedichte.

    Sprache ist das Medium seiner Wahl, um sich mit der Welt auseinanderzusetzen und Gedanken eine künstlerische Form zu geben, das heißt, etwas neben die Wirklichkeit treten zu lassen.

    Die sprachliche Gestaltung ist zugleich Vertiefung und Verarbeitung eines Themas oder einer Idee. Durch die Bindung an Vers und Reim entsteht etwas Neues, etwas Ästhetisches, das leichter macht, das Leben auszuhalten.

    An diesem trüben, regnerischen Herbsttag reden wir über die Liebe – 2die Wahl des Themas hätte nicht passender sein können!

    Erste Schritte – „Die Kunst über die Liebe“ – was war die Motivation zu diesem Projekt?

    Die Liebe trifft Menschen mit großer Wucht. Liebe ist, wie ich es mit meinem Gedicht sage, der Schnittpunkt zwischen Körper und Seele.

    Die Liebe ist eine eigene Sprache, die entdeckt und verstanden wird, indem man liebt. Nichts berührt Menschen so stark wie die Liebe.

    Und der Hass! Aber es ist eben angenehmer, über die Liebe zu schreiben, selbst über das Liebesunglück, deshalb wird kein Thema so viel besungen und bedichtet. „Herz“ und „Schmerz“ reimt sich auch heute noch – und auch heute suchen Menschen besonders häufig nach Liebesgedichten – in Zeiten des Internets lässt sich das leicht nachprüfen anhand der Klicks und Likes.

    Lyrik wirkt durch die Form über das Bezeichnete hinaus, es ist etwas darin wie in der Musik, bei der man auch über ihr Eigentliches nicht sprechen kann.

    Hier nun, beim Auftritt bei EngelsArt, kommen auch Lieder noch hinzu. Wir sind dabei ein harmonischer Dreiklang, befreundet seit unserer Jugend in Trier. Christine Reles und Jules Thesen treten gemeinsam auf als das Duo „Christine und Jules“. Mit Klavier und Gitarre begleiten sie sich zu ihren Liedern, die von den großen und kleinen Begebenheiten des Lebens erzählen. Neben den selbst komponierten von Christine Reles gibt es auch Coversongs unter anderem von André Heller, Hannes Wader, Jacques Prévert und vor allem Georges Moustaki. Mit ihrer Musik laden sie ein, Stimmungen nachzuspüren, einen Augenblick zu genießen und sich an Kunst zu erfreuen.

     Gab es von Anfang an eine genaue Vorstellung von dem Programm?

    Wir haben uns getroffen und zusammengetragen, was wir an Gedichten und Liedern in unserem Repertoire haben. Aus diesem Fundus entstand das Grundgerüst für erste Wohnzimmerkonzerte vor Freunden und Bekannten – das waren unsere ersten Schritte. Einmal unterwegs, ergaben sich viele neue Ideen – wir alle drei sind schöpferische Menschen und so entstanden immer weiter Songs und Texte, die das Programm am Samstag in Engelskirchen bereichern werden. Wir überraschen uns sozusagen selbst mit dem, was wir, einmal angestoßen, auf die Bühne bringen.

     Was war das größte Vergnügen auf dem gemeinsamen Weg?

    Jules hat eine Melodie geschrieben, in die ein Gedicht von mir hineinpasste. Das hat mich ganz außerordentlich gefreut – und es ist auch bei dem Publikum besonders gut angekommen.

     Publikum – ein gutes Stichwort! Kunst braucht Publikum – mit welcher Absicht tretet ihr auf?

    Ganz grundsätzlich hoffe ich natürlich, möglichst viele Menschen zu gewinnen für die Schönheit des gesprochenen und gesungenen Wortes. In Köln präsentiere ich im „Heimathirschen“ ein Programm unter dem Titel „poetry trifft Poesie“. Poetry Slam, also das gesprochene, gestaltete Wort, lockt Heerscharen von jungen Menschen an, von denen es ja oft heißt, sie seien geradezu analphabetisch oder doch illiterat.  Wenn sie sich begeistern für Sprachkunst – warum dann nicht dort auch ansetzen und die Schreibkunst ins Spiel bringen? Ich antworte dort in Resonanz auf die Slammer mit Gedichten. So begegnen sich spoken und written word.

    „Die Kunst über die Liebe“, so heißt unser Programm in Engelskirchen. Wir wollen die Kunst feiern, die Kunst, die über die Liebe spricht und die über sie hinausgeht. Wir hoffen, dass das Publikum unsere Begeisterung und unseren Spaß teilt!

     Was war besonders prägend während der Arbeit an dem Projekt?

    Wie sich unser Repertoire gegenseitig ergänzt und ineinandergegriffen hat, und in wie schöne Kunst jetzt meine Gedichte eingebettet sind.

     Und wie geht es weiter?

    Alles liegt in unseren Händen! Wir werden weiter auftreten – und vor allem aber weiter Lyrik und Musik machen!

    Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch

    Katja Gerlach

    Hier finden Sie noch mehr über Christine Reles, Michael Domas und Jules Thesen:

    https://michael-domas.de

    https://www.jules-music.eu/kostproben

    https://christine-reles.de

  • Interview mit Achim Lahr – 13.09.2023

    Achim Lahr treffe ich zu Hause, in der Küche. Frischer Apfelkuchen duftet lecker, auf den Ablagen ringsum stapeln sich Bücher, frisch gedruckt, Flyer, selbst gestaltete für Veranstaltungen von EngelsArt und gesammelte von interessanten Events, Informationen und To-Do-Listen.

    An den Wänden hängen Bilder und Fotos, die eine Einstimmung geben in das Leben der Familie: bunt, lebenslustig, reisebegeistert, aktiv, immer mittendrin. Für Achim könnte der Tag gut mehr Stunden haben, aber auch so passt viel hinein in sein (Ruhe(?)-stands-)leben: Immer gefragt, wenn es um Organisation und Technik geht, immer gut für neue Ideen, die dann auch umgesetzt werden, immer mit wachem Blick unterwegs, um Motive für seine Bilder zu entdecken – und dann auch noch Zeit, um den Tag im Garten oder Pool ausklingen zu lassen und die Sterne zu betrachten. Man tut gut daran, bequeme Schuhe zu wählen für das Stück Weg, das in diesem Gespräch beschritten wird! (Achim hat viele, auch farbenfrohe Exemplare davon im Schrank!)

    Erste Schritte – wie kamen Kunst und Kulturarbeit in dein Leben?

    Kunst erleben, Ausstellungen und Konzerte besuchen, das war immer schon meine Leidenschaft. Besonders schön ist es natürlich, dass ich mein Interesse inzwischen auch mit meinen Töchtern und meiner Frau teile. Mit einer von ihnen nahm ich zuletzt an einem Workshop im Hans Arp Museum teil. Meine Frau schenkte mir vor vielen Jahren einen Malkurs in der Gruppe „Farbspiel“ in Rösrath – als Ausgleich zu meinem Beruf. Über viele Jahre fand ich dort, was ich für meine künstlerische Entwicklung brauchte: Anregungen zu neuen Techniken, Austausch mit Gleichgesinnten und die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, indem wir Ausstellungen organisierten. Dort lernte ich Zeichnen, später auch vor allem Landschaftsmalerei.  Aus gegenständlichen Bildern, etwa in Erinnerung an Reisen nach Venedig, wurde mehr und mehr abstraktes Spiel mit Farben. Landschaften prägen sich mir vor allem durch die Farbigkeit ein – die Atmosphäre, die durch unterschiedliche Lichtverhältnisse, die Jahreszeiten, Sonnenauf- oder untergang geschaffen wird, möchte ich im Bild einfangen. Mit Pinsel und Spachtel bringe ich kräftige Farben auf Papier, Holz oder Leinwand – so empfinde ich die starke Energie von Landschaft und Natur.

    Schon in meiner ersten Malgruppe ging mein Engagement über die Malerei hinaus: Wenn wir eine Ausstellung planten, gehörte Werbung, der Druck von Plakaten und Flyern und das Hängen der Bilder dazu. Schon immer war ich technikbegeistert, dazu durch meinen Beruf als Radio- und Fernsehtechniker erfahren auch im Durchführen von großen Veranstaltungen. Ich konnte also gar nicht anders, als diese Fähigkeiten auch in der Ausübung meines größten Freizeitvergnügens einzusetzen.

    2017 begann mein Ruhestand – und das war auch der Beginn meiner Mitarbeit bei EngelsArt. Die Aktivitäten der Gruppe kannte ich schon, die Neugier trieb mich zum Jour fix, mein Interesse an der Kulturarbeit und meine Lust, neue Kontakte zu knüpfen, führte schnell dazu, dass ich im Sprecherrat mitarbeiten konnte. Das mache ich bis heute.

    War das von Anfang an das Ziel für den neuen Lebensabschnitt, den Ruhestand? Oder ist der Weg das Ziel?

    Da steckt kein Plan dahinter! Vielleicht ist das auch genau der Charme des Ruhestands, dass man die Chancen ergreifen kann, die sich bieten – ganz nach dem freien Lustprinzip!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg? Gab es Überraschungen?

    Für meine Arbeit bei EngelsArt besteht das größte Vergnügen in der Gestaltung der Technik. Seit 2019 bin ich da mehr und mehr zuständig und habe zum Beispiel die Organisation der Licht- und Tontechnik für die Engelsrevue übernommen. Außerdem gab es Videoclips, die die Aufführung begleiten sollten – leider konnten wir die Show durch Corona – und schließlich durch den Tod von Harry Cremer, der Autor, Initiator und Seele des Stücks war, nicht aufführen. – Zuletzt gab es viel Zustimmung zu der Ausleuchtung der Bühne und Lichteffekte bei Amöbenpank, der Band von Manuele Klein und Detlev Weigand. Mit wenig Aufwand tolle Effekte zu erzielen, ist für mich immer eine tolle Herausforderung.

    Das letzte große Projekt, an dem ich mitarbeiten durfte, war die Skulptur zur Städtepartnerschaft für die Gemeinde Engelskirchen. Das Vergnügen gipfelt jetzt in einem Kunstwerk im öffentlichen Raum – das erfüllt mich natürlich auch mit Stolz. Bis dahin war der Weg lang und gestaltete sich durch sehr vielfältige Aufgaben: zunächst die gemeinsame Planung mit Renate Seinsch, Manuele Klein und Detlev Weigand, dann die Suche nach Sponsoren und schließlich die Realisierung des Projekts und dadurch die Kontakte zu verschiedenen Gewerken der Metallbearbeitung. So konnte ich den Weg eines Kunstwerks wirklich von Anfang bis Ende begleiten – das war schon ein besonderes Erlebnis.

    Für mich als Künstler ist es natürlich ein besonderes Vergnügen, wenn meine Bilder gefallen, vielleicht auch gekauft werden. Wenn ich an meine Bilder und an die Entwicklung der letzten Jahre denke, fallen mit zwei Ereignisse ein, die auf den ersten Blick nichts, dann aber wieder viel gemeinsam haben und bei denen Vergnügen mitschwingt, leider aber auch eine eher böse Überraschung: Island und Corona.

    2020 war ich nur für drei Tage auf Island, aber dieser Aufenthalt hat mich sehr beeindruckt. Die Landschaft in dieser extremen Gegend, dazu die unglaubliche Stille – das hat noch lange nachgewirkt. Die Bilder, die nach dieser Reise entstanden, sind eher Farbkompo-sitionen als Landschaften. Die Beschäftigung mit diesem Thema dauerte lang und zog sich durch die Corona-Zeit.

    In dieser extrem außergewöhnlichen Zeit erlebten wir alle einen Stillstand, dadurch auch viel stille, planungsfreie Zeit mit Raum für Kreativität.

    Kunst braucht Publikum – was bedeutet dieser Satz für dich?

    Applaus ist der Lohn des Künstlers! Ich freue mich über Menschen, die meine Kunst anspricht, genauso wie über das Feedback an uns als Veranstalter. Wie oft hören wir Anerkennung zur Gestaltung der Räume und zur Durchführung von Veranstaltungen. Das motiviert mich immer wieder, weiterzumachen!

    Ich denke auch, dass wir mit unserer Arbeit bei EngelsArt genauso wie ich mit meiner Malerei zeigen kann, dass man etwas bewegen kann. Wenn ich also dem Publikum etwas sagen wollte, wäre es so etwas wie: Mut zur Farbe! Keine Angst vor Aktionen! Rauf auf die Bühne! Bewegt euch!

    Welches Ereignis war besonders prägend während der Zeit deiner aktiven Kunst- und Kulturarbeit? Hat es etwas verändert?

    Corona! Da gab es ein bisher nicht gekanntes Erleben von Endlichkeit. Das setzt sich natürlich mit zunehmendem Alter fort – man feiert mehr Begräbnisse als Hochzeiten.

    Diese Zeit hat uns einen Schrecken versetzt, uns aber gleichzeitig vielleicht sensibler gemacht. Ich weiß noch mehr, was ich schätze und was mein Leben als Mensch und als Künstler prägt: Der Zusammenhalt in der Familie ist mir wichtig, die Begegnung nicht nur, aber auch bei Festen. Die Reisen der letzten Jahre nach Südamerika und Afrika haben meinen Blick in die Welt geöffnet: Die überwältigende Natur, fantastische Landschaften in allen Schattierungen wahrzunehmen, erfüllt mit großer Begeisterung. Und gleichzeitig wird mir bewusst, wie klein und unbedeutend wir sind. In der Malerei kann ich solchen Eindrücken noch intensiver nachspüren, als wenn ich nur ein Foto mache. Die Natur ist für mich die größte Künstlerin – und der Mensch ist gleichzeitig ihr größter Bewunderer und auch Zerstörer.

    Und wie geht es weiter?

    Ich stecke voll positiver Energie, voller Lust auf neue Entdeckungen. Also: nichts aufschieben! Die Zeit nutzen! Nicht nur planen, auch machen!

    Ich danke herzlich für ein intensives Gespräch!
    Katja Gerlach

    Weitere Infos zu Achim Lahr:

    https/farbspiel.eu

  • Interview mit Renate Seinsch – 04.08.2023

    Erste Schritte mit Renate Seinsch

    Eine maisgelbe Jacke wärmt sie an diesem trüben, regnerischen Sommertag, goldgelb leuchtet ihr Schmuck wie um dem Wetter und den allgemeinen Umständen etwas Glanz und Licht entgegenzusetzen – mit dem vertrauten breiten Lächeln öffnet Renate Seinsch mir die Tür in ihrem Haus in Birnbaum.

    ​Die vielen kleinen Räume haben einen hohen Unterhaltungswert: Ihre Bilder erzählen von ihrer unerschöpflichen Kreativität, der Vielseitigkeit ihres künstlerischen Ausdrucks, von einem wachen Blick auf ihre Umgebung und tiefem Verständnis und oft auch ihrem Witz, mit dem sie darauf reagiert.

    Der Sommer 2023 geht als heißester Sommer seit Menschengedenken in die Geschichte ein – nur in Deutschland und besonders in Oberberg bleibt es regnerisch und kühl. So findet unser Gespräch nicht im Garten, sondern in der gemütlichen Küche statt. Ach, Garten! Was sage ich! Ein ganzes großes Stück Land ist hier bepflanzt, gestaltet, belebt, von den Bewohnern sichtlich immer wieder bestaunt und geliebt – ein wahres Paradies, umfriedete Natur, die immer wieder Inspiration für ihre Kunst war und ist.

    Die Ausstellung „Die Bilder fliegen mich an“,
    die im September im Alten Baumwolllager gezeigt wird, ist schon lange geplant – und doch ist dieses Jahr alles anders. Diese Retrospektive zum 85. Geburtstag sollte Teil einer großen, fröhlichen Feier werden. Aber der Sommer entwickelte sich ganz anders als gedacht: Jörn Seinsch, Renates Mann, wurde mitten in der Gartenarbeit von einem Schlaganfall getroffen und starb Ende Juni.

    Alles ist anders – und die Gleichzeitigkeit von Trauer, Schmerz und Lebensmut und Gestaltungswillen wird beinah körperlich erfahrbar. Plötzlich auf sich gestellt, nach 60 Jahren Ehe allein im großen Haus, umgeben von Erinnerungen, zeigt sich auch das, was Renate Seinsch immer ausgemacht hat: Sich aufrichten, in ganzer Größe und mit lauter Stimme furchtlos kundtun, was sie will und denkt. Die Ausstellung wird eröffnet werden! Das Interview findet statt! Auch Staunen und Freude über das eigene Leben, Lachen, Glückwünsche und Applaus haben ihren Platz! Die Geschichten, die man anderen erzählt, das Lachen, das man aussendet, kommen auch wieder zu sich selbst zurück: Das kann man im Zusammensein und im Gespräch mit Renate erleben.

    Die Ausstellung, die am 02. September eröffnet wird, zeigt Bilder aus verschiedenen Schaffensphasen eines langen Künstlerlebens. Wo beginnen da die „ersten Schritte“?

    Schon in der Schule baten meine Freundinnen mich, ihre Bilder zu vervollständigen – seit ich denken kann, male und zeichne ich leidenschaftlich. Gerne wäre ich Modezeichnerin geworden, aber meine Eltern waren gegen eine Ausbildung. So arbeitete ich ein paar Jahre bei der Deutschen Bank in Bonn als angelernte Kraft und bekam sicher das originellste Arbeitszeugnis, das man als Bankangestellte so kriegen kann. Neben meinem Fleiß und meinem Engagement wurde besonders gelobt, wie ich mich durch das Zeichnen von Glückwunsch- und Weihnachtskarten aller Art, durch Illustrationen in der Firmenzeitung und zu anderen Gelegenheiten verdient gemacht hatte.

    Die folgsame Tochter hat also still und heimlich doch ihr Ziel verfolgt?

    Ich könnte nicht sagen, dass ich einen Plan hatte, dass ich damals schon wusste, wo der Weg hingehen würde. Aber ganz sicher gab und gibt es einen unwiderstehlichen Drang in mir, mich künstlerisch auszudrücken – und dafür habe ich immer alles getan. Über vier Jahrzehnte besuchte ich Lehrgänge; vor allem die Bonner Maler Jean Dotterweich und Manfred Weil vermittelten mir grundlegende Kenntnisse in der Ölmalerei, bei der Studiengemeinschaft Darmstadt lernte ich Karikatur und Zeichnen sowie in der PH Bonn Aktmalerei, schließlich absolvierte ich auch eine Akademieausbildung mit Abschluss der Meisterklasse an der Malakademie Köln. Die bildende Kunst ist mein bevorzugtes Mittel, um mich auszudrücken – und darin wollte ich einfach so gut wie möglich werden.

    Lange glaubte ich aber nicht wirklich an die Möglichkeit eines Erfolgs. Das änderte sich schlagartig 1967: Damals gab es ein Preisausschreiben der Frauenzeitschrift Constanze zusammen mit dem Hersteller von Q-Tipps unter dem Titel: „Mütter malen mit Wattestäbchen. Aus der Welt meines Kindes“. Am letzten Tag reichte ich meinen Beitrag ein: Auf einem schmalen Pappkarton gemalt, schaut ein kleiner Junge seinem Luftballon nach. Per Telegramm erhielt ich die Nachricht, dass ich den dritten Platz unter 700 Einsendungen gemacht hatte. 300 DM gab es – eine anständige Summe Geld, für die wir uns einen Teppich kauften! Dazu eine Ausstellung im Künstlerhaus München – da wurde selbst meinem Mann endgültig klar, wen er da geheiratet hatte! Er richtete mir gleich ein Atelier in unserem Haus in St. Augustin ein, das ich aber eigentlich nie richtig nutzte. Familie, Mitarbeit in unserer Kanzlei, die Arbeit im Haushalt – da passte es für mich nicht, mich ins Atelier zurückzuziehen.

    Folgsame Tochter – das passt ganz gut zu mir, eigentlich überraschend gut, wenn ich mich mit den Blicken anderer sehe. Mitschülerinnen, Mitstudierende, später auch andere Wegbegleiter kennen mich als eine forsche Person, die keine Scheu hat, den Mund aufzumachen, sich auf die Bühne zu stellen, ihre Meinung zu vertreten. So hatte ich oft die Rolle der Wortführerin, derjenigen, die Reden schwingt – und der Erfolg, den ich damit hatte, besiegte meine Unsicherheit. Aus einer braven Tochter und Schülerin ist heute eine richtige Macherin geworden! Man wächst eben mit den Aufgaben, die man übernimmt!

    Folgsam war ich auch lange in der Zeit meiner künstlerischen Ausbildung. Treu folgte ich meinen Lehrern, machte ihre Aufgaben zu meinen – erst allmählich entwickelte ich meinen eigenen Stil. Mein damaliger Lehrer Leyendecker in der Malakademie unterstützte mich, als ich in einem Kurs bei ihm anfing, Kühe zu malen, so wie ich sie sah und wie ich sie zeigen wollte. Daraus wurde ein ganzer Zyklus mit Nutztieren. Mein Mann Jörn und ich, wir begannen damals, uns aktiv für den Tierschutz einzusetzen – mein künstlerischer Ausdruck hatte einen wirklichen Antrieb.

    Es dauerte dann aber noch einmal, bis der Knoten wirklich platzte.
    Das war bei meiner ersten Einzelausstellung 1999 im Heimatmuseum in Bergneustadt mit dem Titel „Viechereien“. Die Anerkennung beflügelte mich! Gleich sieben Bilder verkaufte ich!

    Und dann kamen Anfragen von der Stadt Gummersbach, vom Lions-Club, die mich baten, bei Ausstellungen mitzumachen. Plötzlich hingen meine Bilder nicht nur im Oberbergischen Kreis, sondern zum Beispiel auch in Frankreich, in unserer Partnerstadt LaRoche.

    Mich brachte also weniger mein eigener Ehrgeiz, ein Ziel zu erreichen, nach vorne, sondern eher die Erfahrung, gefragt zu werden. Diese Reaktion auf meine Kunst ist ein ganz wesentlicher Glücksmoment, aus dem Energie für den weiteren Weg erwächst.

    Was ist das größtmögliche Vergnügen auf deinem Weg als Künstlerin?

    Ideen zu meinen Bildern sind nicht das Ergebnis langer Überlegungen. Bilder fliegen mich an – und dann werden sie gemalt! Die höchste Befriedigung gelingt natürlich nicht bei jedem Bild, aber der schönste Lohn für mich ist, wenn mir ein Bild gelingt, das ich als vollkommen im Ausdruck empfinde. Oft ist das der Fall, wenn man in einen Flow gerät, einfach getragen wird, ein Werk in einem Guss vollenden kann, ohne großes Nachsinnen oder Korrigieren. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl! Man könnte singen, tanzen, jauchzen, sich betrinken – man erlebt, wie die innere Energie Gestalt, Form und Farbe annimmt – einfach umwerfend!

    Kunst braucht Publikum – was willst du deinem Publikum mitteilen?

    Meine Bilder teilen sich selbst mit – da braucht es keine Erklärung. Der Betrachter sieht, was für ihn wichtig ist und spürt, was ihn anspricht. Wenn ich meinem Publikum etwas mitteilen will, dann eher ganz grundsätzlich: Für mich ist ein Leben ohne kreativen Ausdruck undenkbar – und so oft hat mir die Kunst geholfen, auch schwierige Lebensphasen zu meistern. In meinen Bildern, in meinem künstlerischen Schaffen habe ich immer einen Weg gefunden, diese Künstlerinnenseele in mir lebendig zu halten – und dort liegt oft die Quelle meiner Energie und Lebensfreude. Wenn sich jemand durch mich anstiften lässt zu Kreativität, dann finde ich, meine Botschaft ist angekommen!

    Im Übrigen: Sobald ein Bild an die Öffentlichkeit geht, tut meine Aussage nichts mehr zur Sache.
    Der Betrachter sollte seine eigene Interpretation finden, die ausschließlich seiner Gefühls-
    und Denkart entspricht.

    Welche Begegnung war besonders prägend auf deinem künstlerischen Lebensweg?

    Lange habe ich an mir selbst, an meinen Fähigkeiten und Fertigkeiten gearbeitet und mich ausgebildet – mein wirkliches Leben als Künstlerin begann aber damit, dass ich von anderen wahrgenommen wurde und plötzlich zu einer Gruppe von Menschen gehörte, die ebenfalls als Künstler in der Öffentlichkeit auftraten. Die Begegnung mit anderen, der Austausch, gemeinsame Projekte, das Gefühl, andere zu begeistern mit dem, was man tut – das sorgt für eine Lebendigkeit, eine Fröhlichkeit, die man alleine im Atelier nicht erreicht.

    EngelsArt, die Kunst- und Kulturinitiative in Engelskirchen, ist da natürlich ein ganz besonderes Beispiel! 2000 war ich als Gründungsmitglied dabei, als sich die Gruppe zusammenschloss, um Kulturarbeit in Engelskirchen lebendig zu machen. Bis heute bin ich Mitglied im Sprecherrat. Anfangs hatten wir noch nicht das Alte Baumwolllager als Spielstätte, sondern bewegten uns mit einer Kulturkarawane durch die Stadt, hielten Lesungen auf dem Hit-Parkplatz ab oder veranstalteten Konzerte und Events in Privathäusern. So auch 2002 bei den Birnbaumer-Kunsttagen auf unserem Grundstück – ein fantastisches Fest mit 20 Künstlerinnen und Künstlern, die bei uns im Garten, im Stall und auf dem ganzen Gelände ausstellten. Das Publikum brachte sich zum Teil Picknickdecken mit und feierte zwei Tage lang!

    2005 fand eine große Ausstellung unter dem Titel „Wertlos“ im Park hinter der Engelsvilla statt – dort präsentierte ich meine „Wanderstühle“. Mit EngelsArt zusammen organisierte ich jedes Jahr die Tage der offenen Ateliers, durch die sich Künstlerinnen und Künstler in ganz Oberberg präsentieren konnten.

    Dadurch knüpfte ich so viele Kontakte und schloss Freundschaften – mein Engagement bei EngelsArt förderte mein Selbstbewusstsein ordentlich! – Selbst die Coronazeit wurde durch EngelsArt erträglicher – Teil unserer Aktionen waren auch meine Frauenporträts in den Schaufenstern von Ründeroth und Engelskirchen, die als Mutmacherinnen auftraten!

    Wir begegnen dir und deinen Werken ja auch immer mal wieder in der Öffentlichkeit!

    Ja, der Ankauf von Bildern für die Rathausgalerie in Gummersbach und die Tatsache, dass meine Hühner beim Bundesverband der deutschen Geflügelzüchter in Berlin hängen – das macht mich schon sehr stolz! Außerdem durfte ich das Altarbild der Heiligen Elisabeth in der katholischen Kirche in Nochen gestalten und erhielt dafür sehr berührende Reaktionen. Und einer meiner Wanderstühle aus der Aktion „Wertlos“ steht als Andenken daran im Foyer der Engelsvilla. Zuletzt wurde die Skulptur zur Städtepartnerschaft von Engelskirchen und Plan de Cuques in Frankreich und Mogilno in Polen vor dem Rathaus in Engelskirchen eingeweiht. Dieses Symbol der Partnerschaft und Freundschaft ist eine Gemeinschaftsarbeit mit Manuele Klein, Detlev Weigand und Achim Lahr.

    Und wie geht es weiter?

    Am liebsten immer weiter so! Aber ich weiß natürlich, dass die Endlichkeit des Lebens mich einschränkt. Große neue Pläne mache ich nicht. Trotzdem: Ich möchte immer weiter dabei sein! Das Leben im Jetzt wird immer wichtiger. Ich bin offen für die Veränderung, die diese Phase mit sich bringt. Welche Themen werden mich jetzt anfliegen? Wie werden meine nächsten Bilder aussehen? Ich vertraue auf meine Lebendigkeit – alles wird sich zeigen!

    Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch!

    Katja Gerlach


    Und hier gibt es mehr zu sehen von Renate Seinsch:

    http://www.renate-seinsch.de/

  • Interview mit Karl Feldkamp – 01.03.2022

    Meine erste Anfrage für ein Interview mit
    Karl Feldkamp liegt knapp zwei Wochen zurück – gut gelaunt blickte er damals seinem Urlaub entgegen. Wir verabredeten uns für Anfang März – nun in einer anderen Zeit: Krieg in der Ukraine, lange Truppenaufmärsche Richtung Kiew, kampfbereite Menschen verschanzt in Kellern und U-Bahnschächten, verzweifelte Mütter mit ihren Kindern auf der Flucht.

    ​Es braucht eine Zeit der Vorbereitung, bis der Kopf frei ist für ein Gespräch über das Schreiben mit dem Leiter der Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“, die regelmäßig das Programm von EngelsArt bereichert. Das nun schon vertraute Krisenthema, Corona, ist Grund für die Entscheidung, dass ich Karl Feldkamp am Telefon treffe. Als Schriftsteller verfasst er vor allem Lyrik und Erzählungen. Seine Auseinandersetzung mit der Sprache spürt man in seinen genau formulierten Antworten, die nahezu verdichtete Reaktionen auf meine Fragen sind. Die Konzentration im Gespräch, fernab der Tagespolitik, erlebe ich als wohltuend. So bekomme ich vielleicht eine Ahnung von der zugewandten Atmosphäre, die in seiner Schreibwerkstatt herrschen mag: Das Wort, das man für eine innere Stimmung findet, spiegelt und macht dadurch fassbar, was vorher noch unaussprechlich schien.

    Erste Schritte – was war die Motivation für das Vorhaben, in Engelskirchen die Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“ zu gründen?

    Schreibwerkstätten sind kreative Orte, an denen ich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Motivation zu unterschiedlichen Themen gearbeitet habe. In Köln habe ich an der Volkshochschule Schreibwerkstätten angeboten, in Bergisch Gladbach als Mitglied der Autorengruppe Wort und Kunst – immer wieder hat es mich interessiert, mit Menschen an ihren Geschichten zu arbeiten. Als Sozialarbeiter und Supervisor bringe ich sicher auch ein professionelles Interesse an der Persönlichkeit hinter der Geschichte mit. Durch meine Arbeit habe ich ein Gespür dafür entwickelt, wie ich Menschen ansprechen und zum Reden bringen kann.

    Nun ist natürlich nicht alle Literatur autobiographisch! – Hier in Engelskirchen traf sich aber tatsächlich das Bedürfnis eines Großvaters, der ich inzwischen geworden war, seinen Enkeln die eigene Geschichte zu erzählen, mit dem gelungenen Start einer Gruppe, die eigentlich genau das zum Ziel hatte. Inzwischen trifft sich die Gruppe seit drei Jahren. Jüngere sind dazugekommen, so dass sich neue Themen ergeben.

    So war also der Weg das Ziel?

    Das kann man so sagen. Über den Austausch in der Gruppe schälen sich Themen heraus, die häufig autobiographisch sind. Es ergeben sich aber genauso auch Erzählungen über ein Familienmitglied, das eine besondere Rolle gespielt oder ein historisch interessantes Leben geführt hat. Andere wieder entdecken Themen, die sie essayistisch betrachten. Das Leben als solches wie auch das Älterwerden im Besonderen bieten da unerschöpfliche Anlässe.

    Was war die größte persönliche Überraschung, das größte Vergnügen bei Ihrer Arbeit in der Gruppe „Wer schreibt. Bleibt.“?

    Die größte Zeit meines Lebens war ich ein Stadtbewohner: Lübeck, Osnabrück, Köln, Bergisch Gladbach. Als ich dann, beladen mit besorgten Warnungen von Freunden, nach Wallefeld, aufs Land zog, war tatsächlich die erste Überraschung, dass meine Vorurteile sich nicht bestätigten! Interessierte, interessante Menschen leben hier – mit einem künstlerischen Anspruch und Niveau, das ich nicht erwartet hatte! Musik, Kunst, Literatur – hier trifft man alles – und das sozusagen zum Anfassen, ohne Distanz schaffenden Orchestergraben.

    Ein großes Vergnügen ist für mich in der Arbeit unserer Gruppe das Gespür für Wortspiele und Humor, auch sich selbst gegenüber. Ich treffe auf gute Kritikfähigkeit und wenig Arroganz oder Beleidigtsein, dafür aber auf das rechte Maß gegenüber sich selbst.

    Kunst braucht Publikum. Welche Rolle spielt dieser Gedanke in der Gruppe?

    Die Gruppe selbst ist immer das erste Publikum! Die erste Veröffentlichung erfolgt durch das Vorlesen in der Gruppe. Es schließt sich ein Feedback an, das manchmal noch einmal einen schöpferischen Prozess in Gang setzt.

    Nicht immer, aber doch immer wieder, ergeben sich weitere Möglichkeiten zur Veröffentlichung, auch für ein größeres Publikum. Einige Teilnehmer schreiben beispielsweise für Kirchenzeitungen.

    Im Raum stehen aber auch Überlegungen zu öffentlichen Lesungen, vielleicht in Verbindung mit Musik – und vielleicht auch schon Ende des Jahres!

    Welche Begegnung war besonders prägend während der Arbeit an dem Projekt?

    Da gab es nicht die eine Begegnung, die etwas verändert hat. Für mich war das besondere Erleben des Lebens auf dem Land prägend, weil bildend! Aus dem vorurteilsbeladenen Städter bildete sich einer, der die Welt kennenlernt, wie sie hier ist: Geprägt durch persönliche Kontakte, wirkliches Interesse der Nachbarschaft, zupackende Hilfe – und gepaart mit hohem Anspruch an das Leben und die Kunst.

    Auch in unserer Gruppe hat das persönliche Gespräch eine besondere Bedeutung. Es gibt wenig formale Hürden. Vielleicht ist es durch die Haltung dem Leben und dem Anderen gegenüber hier einfacher, ungekünstelt, also ohne den Umweg über die Kunst, über sich selbst zu reden? Vielleicht macht das den entscheidenden Unterschied zum Städter, wie er in meinem Kopf existiert, aus?

    Und wie geht es weiter?

    Es gibt keinen Grund aufzuhören! Schreiben ist wie langsames, reflektiertes Reden. So ist es beinah meditativ, eine Achtsamkeitsübung. Je mehr das geübt wird, umso besser! Gerade in der jetzigen Zeit ist es von besonderer Bedeutung.

    ​Ich danke herzlich für das Gespräch!
    Katja Gerlach

    Als Zugabe gibt es noch eine Kurzgeschichte von Karl Feldkamp:

    Der ganz normale Wahnsinn

  • Interview mit Wibke Brode – 07.10.2021

    Die leuchtenden Farben des Herbstnachmittags harmonieren aufs Schönste mit intensiv-farbigen Bildern, die die Wände im Haus von Wibke Brode zum lebendigen Museum werden lassen, mit den sich noch im Prozess entwickelnden Leinwänden in ihrem Atelier. Beim Betrachten der vielschichtigen, tiefgründigen Bilder öffnet sich der Betrachterin die Tür in eine ganz eigene Welt – schwingen zwischen Glitzer, Schellack, Blattgold und leuchtendem Pink orientalische Fantasien mit? Welche Geschichte verbirgt sich unter Schichten von Marmormehl, Kokosfasern, Wachs und Hasenleim, der trocknend aufbricht und darunter Liegendes erahnen lässt? Draußen arbeitet die Natur an ständiger Veränderung und Erneuerung – drinnen hat die Neu-Engelskirchenerin endlich genug Platz, um mit Farben und Material zu experimentieren, immer neue Ausdrucksformen zu finden für die schöpferische Energie, mit der sie sich beschenkt fühlt.

    Das Jahr 2021 hat Wibke Brode viele neue, erste Male beschert. Bescherung geschieht allerdings selten, ohne dass man selbst mit einer aktiven – vielleicht zunächst unbewussten – Impulsgebung für die Richtung sorgt: Mit ihrem Umzug von Köln ins Oberbergische entschloss sie sich, bei EngelsArt nicht nur Mitglied zu werden, sondern auch im Sprecherrat mitzuarbeiten – und als nächstes eine große Einzelausstellung im Baumwolllager zu präsentieren. Darüber werden wir heute sprechen.

    Was waren die ersten Schritte, die Motivation zu der Ausstellung „Kathedralen aus uns selbst“?​

    ​Die Möglichkeit, in Engelskirchen eine Ausstellung zu machen, hat meiner Kreativität einen ungeheuren Schwung gegeben! Seit Corona hat es keine Ausstellungen mehr gegeben – und mit einer Ansammlung von fertigen Bildern im Atelier erstickt man förmlich! Die Arbeit muss an die Luft, muss ein Publikum haben – meine Freude ist also entsprechend groß!

    Seit ich denken kann, fasziniert mich, wie es uns Menschen gelingt, Objekten eine Seele einzuhauchen. Wie kommt es, dass wir etwas schaffen, das dann als schön empfunden wird? Warum werden wir berührt durch Kunstwerke? Wie entsteht eigentlich diese spirituelle Aufladung von Bildern, Orten, Objekten? Das schlichte Kreuzzeichen enthält eine mächtige Aussage, ägyptische Götterstatuen haben über Jahrhunderte hindurch eine immer wieder erkennbare Form, die zum Ausweis für ihre Göttlichkeit wurde. Tempel, Moscheen, Kirchen, alle heiligen Stätten ziehen Menschen in ihren Bann, lenken die Aufmerksamkeit – auf Gott!? Oder nach Innen?!

    „Kathedralen aus uns selbst“ – der Titel meiner Ausstellung schlägt da einen Bogen. Ich erschaffe mit dem Bild einen Raum, der sowohl für mich als auch für die Betrachter alles möglich macht: Welche Gefühle löst der Anblick aus? Was geschieht mit mir? Alles, was in uns ist, darf sich zeigen, frei von jeder Bewertung.

    Gab es von Anfang an ein Ziel? Oder ist der Weg das Ziel?

    Ich arbeite ohne Vorstellung und ohne Plan. Der Zufall spielt in meinem Leben und in meinem Werk eine große Rolle. Die Begegnung mit ihm ist für mich eine beglückende Erfahrung! Auf beinah magische Weise wirkt so jemand mit an meiner Arbeit, ich bin nicht alleine. Es ist ein bisschen so, als würde ein göttliches Wesen mitmachen und das Werk beseelen. So entsteht ein inniger Dialog – und meine Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein und zu erkennen, was sich zeigen will.

    Ich betrachte den Zufall als Chance – durch ihn wächst mir etwas zu, das vielleicht größer ist, als ich es je hätte denken können. Dabei habe ichtiefes Vertrauen und kann gut annehmen, was da kommt. Alles darf passieren. – Auch die schweren Momente, die Brüche im Leben müssen sich zeigen, hinterlassen Narben. Das kann man gut an den Hasenleimbildern sehen, bei denen die Oberfläche aufbricht und so neue Strukturen schafft, ohne jedoch das Bild zu zerstören oder ihm etwas zu nehmen. Gerade diese sich öffnenden Bruchstellen machen tiefere Einblicke möglich, ziehen das Interesse auf sich, fordern neue Lösungen – im Bild genau wie im Leben.

    Mich trägt eine positive Grundeinstellung, ein Fundament aus Heiterkeit, Optimismus und Vertrauen. Dafür bin ich sehr dankbar, da es innerlich unglaublich frei macht. Ich muss mich nicht an Sicherheiten klammern, wenn ich denke, dass der vor mir liegende Weg sich im Gehen gestalten wird. Ich bin nicht festgelegt, kann gut auf mein Gefühl hören und das, was ich wahrnehme, spielerisch umsetzen.

    Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg?

    Das Spiel mit neuen Materialien, die schier unendlichen Möglichkeiten und Erfahrungen beim Experimentieren sind das schönste Seelenfutter für die Künstlerin in mir! Das größte Vergnügen ist die Neugier auf das nächste Bild! Jedes ist eine Überraschung, kann eine Spur fortsetzen, aber auch gänzlich anders werden.

    Anfangs habe ich tief weinrot monochrome Bilder gemalt, die eine gewisse Dramatik ausstrahlten. Ohne eine Antwort darauf zu finden, habe ich mich schon gefragt, was mir jemand damit sagen will, dass ich so hartnäckig bei dieser Farbe geblieben bin. Im Laufe der Zeit haben sich die Bilder verändert: Pink überwiegt, lebensbejahend, fröhlich, das Leben feiernd!

    Die Bilder entwickeln sich, wachsen langsam, trocknen, reißen auf, werden geschliffen, aufgeraut, lackiert, übermalt. Farben stoßen sich ab, fließen, vermischen sich – oder auch nicht – jedenfalls ist nicht alles vorhersehbar, was da heranwächst. Die Bilder haben tatsächlich ein starkes Eigenleben und haben, wie jedes Individuum, ihre Berechtigung aus sich selbst heraus. Jedes Bild ist wie die Stufe einer Leiter – der jeweils nächste Schritt ist nur möglich, weil der vorhergehende gemacht worden ist. Die Abfolge der Bilder ist beinah wie ein Tanz – ein Schritt ergibt sich nach dem anderen. Man muss sich nur der inneren Melodie hingeben.

    Kunst braucht Publikum.  Welche Rolle spielt der Gedanke an das Publikum bei der Arbeit?

    So wie die Bilder vom Einwirken des Zufalls belebt und beseelt werden und nicht einem von mir ersonnenen Konzept folgen, so ist auch die Reaktion des Publikums nicht planbar. Das Publikum ist mein Resonanzkörper! Seine Reaktion löst meine Kreativität aus. Meine Bilder sind mein Beitrag zu unserer Kommunikation. Ich zeige, was in mir ist, ganz unmittelbar, ohne dem Bild einen Namen zu geben. Der Betrachter darf so unbeeinflusst sehen, was für ihn oder sie sich zeigt. Wenn dann jemand mein Bild annimmt, macht mich das glücklich.

    Welche Begegnung war besonders prägend?

    Wenn man unterwegs ist mit seiner Kunst, sucht man natürlich Orientierung, vielleicht Wegweiser, Lehrmeister, will sich vergleichen. So hatte ich auch lange eine Messlatte im Kopf und war nicht sicher, wie ich mich selbst einschätzen konnte. Bei einem Tag des offenen Ateliers begegnete ich so einer erfolgreichen Malerin, die wie ich monochrome Bilder malte. Wie gern wollte ich lernen – und wie enttäuscht war ich, als mir klar wurde, dass diese Bilder keine Geschichte hatten, dass sie nicht Ergebnis einer inneren Auseinandersetzung waren – jedenfalls keiner, die sich in Worten mitteilen ließen. Dieses Erlebnis war ein richtiger Impuls für mich – ich konnte ganz neu stolz auf mich sein, wusste, dass ich meinem Weg weiter folgen werde.

    Und wie geht es weiter?

    Mein Traum ist es, von meiner Kunst leben zu können! Ich werde also weiter an Ausstellungen teilnehmen, Einzelausstellungen organisieren und mein Publikum suchen. Nach der Coronazeit mit Einschränkungen und großen Unterbrechungen ist in vieler Hinsicht ein Neuanfang nötig und möglich – ich sehe das als Chance!

    ​Für ein intensives Gespräch mit nachhaltig belebender Wirkung bedanke ich mich!
    Katja Gerlach

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  • Interview mit Kristin Kunze – 30.04.2021

    Der Weltlachtag fällt in diesem Jahr auf den 2. Mai – und bietet Anlass für einen Besuch im Institut für Humorforschung bei Kristin Kunze. Vor dreißig Jahren hat die Zahnärztin Dr. Kristin Kunze ihre Praxis in Engelskirchen verkauft und fühlt seitdem als Clownin Sophia Altklug ihren Mitmenschen sehr viel tiefgründiger auf den Zahn. In dieser Rolle kommt sie den Menschen noch näher, spürt sensible Punkte, manchmal auch Defekte auf und weist Wege der Besserung und Vorsorge. So ist sie ihrer eigentlichen Profession, dem Dienst am Menschen, immer treu geblieben.


    Erste Schritte – Über welches Projekt sprechen wir heute?

    In diesem Corona-Jahr braucht der Mensch am Weltlachtag besondere Zuwendung – stellt doch auch das Lachen in der Öffentlichkeit und in Gruppen ein Ansteckungsrisiko dar und gehört geradezu verboten! Aber gibt es so auch ein Berufsverbot für den Humor? Nein! Lautes Lachen passiert zwar meist in Gemeinschaft – und wer nicht mitlachen kann, fühlt sich ausgeschlossen. Wer viel mit sich alleine ist, kichert oder schmunzelt eher. Aber den Humor im eigentlichen Sinne kann man in jeder Situation erleben. Humor bedeutet das Fließen der Temperamente, der Stimmung in jeder Tonlage, zu der der Mensch fähig ist. Diese Lebensenergie lässt uns bei Gelegenheit auch lachen, aber das Lachen ist nur eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten.

    Mein aktuelles Projekt gestalte ich als Praktikum: Ich spüre dem Flow nach, in den ich gerate, wenn ich praktisch tätig bin. Im Garten, im Schweinestall oder beim Malen und Singen vergesse ich die Zeit, vergesse ich mich selbst – und finde gerade dadurch zu mir selbst. Ich lerne, dass nicht mein Wollen zum Ziel führt, sondern das Warten auf das, was kommt. Ich erlebe, dass ich vertrauen kann auf die Zeit, die nach vorne keine Begrenzung hat.

    Ich formuliere gerade nicht ein ganz großes Projekt, sondern entdecke, dass ich mit viel Gewinn die Zeit so annehmen kann, wie sie auf mich zukommt. JETZT ist meine Lebenszeit! Ich warte nicht, bis alles wieder „normal“ ist. Jetzt gerade findet mein eigentliches Leben statt – auch wenn es nicht mehr das ist, von dem ich gelebt habe!

    Corona hat viel unterbrochen. Meine Reisen in Entwicklungsländer und meine Tätigkeit dort als Zahnärztin sind nicht möglich. Ich vermisse meinen Sport, das Turmspringen! Diese einundeinhalb Sekunden Glück vor dem Eintauchen ins tiefe Wasser, das Erleben eines gelungenen Sprungs sind der Luxus, den man nur in geöffneten Schwimmbädern erleben kann. Aber dafür steht die Clownin vor Herausforderungen, die sie kennt und immer neu suchen muss: Sie muss über immer neue Hindernisse hinwegstolpern, wieder aufstehen, wieder ihre Balance finden, wieder das Gleichgewicht verlieren – jetzt wird’s ernst mit dem Humor!

    Eigentlich ist die Antwort schon da, bevor ich die Frage stellen muss: Der Weg ist das Ziel!?

    Ja! Aber der Aufbruch gehört unbedingt dazu! Ich muss mich auf den Weg machen, brauche Betätigung, Kreativität. Und dieser Weg ist auch keinesfalls ziellos: von meinem Bedürfnis werde ich in eine Richtung gezogen, einem Ziel entgegen, das ich noch nicht kenne. Wenn ich einen Zaun für das Gehege meiner Schweine brauche, muss ich nach Möglichkeiten suchen, ihn auch zu bauen – am besten so, dass er ausbruchsicher ist!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg?

    Jeden Tag geschieht etwas Neues! Ein Schritt ergibt den nächsten und durch das Fortschreiten findet immer wieder ein Perspektivwechsel statt. Immer wieder erlebe ich: Ich weiß noch längst nicht alles – noch so viel Weg liegt vor mir! Die Clownin in mir probiert immer wieder aus, was eigentlich unmöglich scheint – und der Lohn ist dieser eine Moment, in dem ganz leicht gelingt, was vorher unüberwindbar schien. – Zum Beispiel habe ich gemeinsam mit einer Freundin eine gewaltige Schweinehütte aus Beton über eine beachtliche Strecke bewegt, weil uns eingefallen ist, sie über Zaunpfähle rollen zu lassen. Ein magisches Bild: zwei schmale Frauen und ein schwebender Betonklotz!

    Eine Clownin probiert nicht nur für sich selbst, sondern auch, weil sie andere an der Überraschung des Augenblicks teilhaben lassen will. Welche Rolle spielt im Moment der Gedanke an ein Publikum?

    Die schwarze Clownfigur, die auf tiefe Verzweiflung, Einsamkeit und Depression reagiert, übt im Moment die größte Faszination auf mich aus. Diese Figur tritt auf in der Resonanz auf Angst und Ratlosigkeit. Wird alles immer weniger? Wird alles verboten? Wie geht es weiter? Meine Aufgabe ist es, Beispiele und Methoden zu sammeln, die Auswege aus diesem Gedankenkarussel zeigen können, die eine neue Tür öffnen. Der Gegenpol zu der weit verbreiteten Angst ist Liebe – also Geben und Nehmen, In-Verbindung-Sein, gemeinsame Schwingung. Was kann ich geben? Welchen Ausweg kann ich vorleben?

    Als Clownin kann ich noch deutlicher auf die Bühne tragen, was ich als Mensch versuche zu leben: Die Bewegung, das Auf und Ab der Gefühle, die Vielfalt des täglichen Lebens annehmen können und damit auch erkennen, dass sich alles jederzeit ändern kann. Ich nutze die Freiheit, die Perspektive zu wechseln, um die Erstarrung aufzuheben. Ich nutze meine Freiheit, um meiner Stimme, meinem Körper Raum zu verschaffen, um die Stille der Einsamkeit mit Klang und neuer Bewegung zu füllen.

    Wer als Künstlerin im Moment auf den Applaus vor der Bühne wartet, lebt gefährlich! Mein Publikum sind im Moment die Menschen, die mich im Alltag umgeben. Das Leben findet JETZT statt! Wir können nicht darauf warten, dass alles wieder anders wird.

    Die Spieldose

    Welche Begegnung hat dich in der letzten Zeit besonders berührt?

    Eine Freundin schenkte mir einen Kalender von Albert Schweitzer. Beim Durchblättern fühlte ich mich zurückversetzt in meine Studentenzeit, als ich zum ersten Mal im Albert Schweitzer Hospital in Gabun als Zahnärztin gearbeitet habe. Ich warte darauf, diese Einsätze bald wieder machen zu können. Das ist natürlich einmal eine sehr unmittelbare, bedeutende medizinische Unterstützung in Ländern mit wenig Infrastruktur. Durch die Behandlung darf ich den Menschen in besonderer Weise nah sein. Medizinische Hilfe wird dabei meine Gegenleistung für das Erlebte.  – Mit dem Rückblick auf meine Tätigkeit wurde mir klar, dass ich aus diesen Erfahrungen die Grundlagen meiner Clownsphilosophie mitgenommen habe: Im Ausland muss man eine bisher vertraute Aufgabe mit neuen Augen sehen, sie vor dem Hintergrund einer neuen Kultur neu buchstabieren. Und WIR sind quasi alle im Moment „im Ausland“, in einer neuen Situation, die auch viel Unsicherheit mit sich bringt. Wir alle müssen über den Tellerrand gucken und dazulernen.

    „Wir marschieren in der Nacht. Das einzige Licht auf unserem Weg ist, unserem Herzen und dem Gesetz der Liebe zu folgen. Das innere Licht ist, Ehrfurcht vor allem Leben zu haben.“  Dieses Zitat von Albert Schweitzer passt wie ein Schlüssel zu einer Tür, die auch den Ausweg aus der Angst öffnet. In dem Wort „Ehrfurcht“ finde ich die Ehre und die Furcht, den Respekt vor allem Leben. Dabei bin ich selbst nicht die einzig Wichtige! Aber ich gehöre dazu, wenn ich das Glück habe, den Zugang zu diesem Weg zu finden!

    Und wie geht es weiter?

    In meinem Humorforschungsinstitut unterscheide ich drei Formen von Freude: die Vorfreude, die Hauptfreude und die Nachfreude. Und die Vorfreude kann mir niemand nehmen! Ich mache Pläne, zum Beispiel für eine Reise nach Juist, ich habe Hoffnung – und die Freude daran ist gerade schon passiert – unvergänglich!  – Und ganz praktisch steht das Einüben einer neuen Gangart auf meinem Trainingsplan: das Rückwärtsfahren auf dem Pedalo!

    ​Ich danke sehr für das Gespräch
    Katja Gerlach

    https://www.sophiaaltklug.de/

  • Interview mit Karsten Haider – 15.04.2021

    Eintreten und eintauchen in eine vielfach verschachtelte Welt, die Schätze offenbart, die man so mitten in Ründeroth kaum erwartet: Augenschmaus und haptisches Vergnügen bietet gleich am Eingang eine Sammlung alter Buchbinder-Werkzeuge. Die Fülle an Eindrücken und Bildern fordert geradezu auf, die Geschichte des Bewohners und seiner facettenreichen Kunst zu ergründen.


    Karsten Heider hat gemeinsam mit Anke Ahle im vergangenen Oktober die Ausstellung im Baumwolllager zur Ründerother Geschäftsbücher-fabrik Gustav Jaeger zusammen-getragen und dort künstlerische Handeinbände der Meister der Einbandkunst präsentiert.

    Ausstellungsstücke aus der alten Bücherfabrik liegen und hängen nun griffbereit in den Räumen des Antiquariats Peter Ibbetson und in seiner Buchbinderwerkstatt. Durch langen Gebrauch liegen die Griffe geschmeidig in der Hand, der Achatglättzahn zur Goldschnittherstellung fällt der Betrachterin nicht nur durch seinen Namen sofort wieder auf – Scheren in zupackenden Größen für Leder, Stoff und Papier hängen an einem Eichenbalken, in großen Schubladen lagern historische Prägeschriften aus Messing, Jugendstil-Vignetten und unzählige Schmuckelemente und warten darauf, auf Ledereinbände geprägt zu werden. Spindelpressen, Gewichtsteine, Prägepresse und Schneidemaschine finden in jeder Ecke ihren Platz. Pappen und Papiere, klanghartes Roma-Bütten, ein handgefertigtes, hochwertiges Baumwollpapier, das sich wie rauer Stoff anfasst, samtiges Nepal Papier, Pergament, Oase-Ziegenleder und Kabeljauleder, aber auch glatt geschliffene Holzstückchen – das ist eine Auswahl des Materials, mit dem Karsten Heider arbeitet, wenn er sich seiner künstlerischen Tätigkeit, der Einbandkunst, widmet.

    Erste Schritte – wie kamst du dazu, dich nicht nur als Antiquariats-buchhändler mit Büchern zu beschäftigen, sondern sie auch als Kunstobjekt zu gestalten?

    Die Hinwendung zur künstlerischen Tätigkeit als Buchbinder lag eigentlich auf dem Weg. Schon als Kind war ich fasziniert von der Ästhetik der Geschäftsbücher, vor allem der Marmorschnitte, die mein Vater als Buchbinder in der Ründerother Bücherfabrik Jaeger herstellte. Das Interesse an Gestaltung und Illustration und meine eigenen künstlerischen Fähigkeiten waren früh geweckt. Aber erst später lernte ich von meinem Vater, Schuber für Bücher meiner Sammlung herzustellen – damit war der erste Schritt zur Arbeit in dem Handwerk des Buchbinders getan. Darauf folgte das Interesse an der eigenen künstlerischen Gestaltung der äußeren Form des Buchs. Als ich dann mit dem Umzug nach Ründeroth vor sieben Jahren auch die Werkstatt meines Vaters übernahm, war das sicher der entscheidende Schritt, nicht nur die Technik des Buchbindens immer weiter zu verfeinern, sondern vor allem mit Farben und Material zu experimentieren.

    Gab es von Anfang an ein Ziel? 

    Einmal angefangen, war schnell klar, dass die Buchbinderei einen immer größeren Raum einnehmen würde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass die Kunst nicht zum Broterwerb werden sollte. Als Antiquar beobachte ich, dass sich das Interesse der Sammler ändert: Das Interesse an Werk- und Erstausgaben nimmt ab; stattdessen gewinnt der Objektcharakter des Buchs an Bedeutung. Bei den zum Teil skulpturalen Einbänden überwiegt oft der ästhetische Ausdruck – das Interesse an Autor und Inhalt ist teilweise sogar nachgeordnet. – In dieser Hinsicht unterscheiden sich meine Auswahl und mein Vorgehen!

    Wie gestaltet sich dein Weg?  

    Natürlich finde ich es auch reizvoll, Bücher in außergewöhnlichen Formaten, zum Beispiel bibliophile Drucke mit Original-Grafik zu binden. So arbeite ich gerade an „Das Schöne“, einer Festgabe für Karl Klingspor, mit einer ungewöhnlichen unsymmetrischen Deckelform, die auch noch eine besondere Herausforderung an den Bau des Schubers stellen wird! Neben der Ästhetik der Form spielt aber bei der Auswahl immer auch der Inhalt eine große Rolle. Der „Golem“ von Gustav Meyrink mit seinem dunklen reliefierten Einband und den mit einer alten Tapetenmusterrolle handgefertigten Vorsatzpapieren verweist auf die Kulisse eines düsteren Prag. Der Einband von Grimms Märchen zeigt einen Baum – tief verwurzelt, mit breitem Stamm und giftgrünem Laub – als Hinweis auf Hexenkunst und magische Elemente.

    „Das Märchen“ von Novalis ist verpackt in einer Traumlandschaft. „Dracula“ und „Frankenstein“ verbreiten schon durch die farbige Gestaltung des Einbands Grusel. Dracula zeigt eine applizierte rote Zunge aus Straußenbeinleder am Rücken – Frankenstein ziert eine grob zusammengenähte Narbe. – Aktuell entferne ich mich aber von den Anfängen meiner „wilden“ Zeiten und arbeite mit reduzierter Formen- und Farbensprache. So etwa bei Schillers „Wallenstein“ oder Goethes „Römischen Elegien“.

    Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg? Und was die größte Überraschung?

    Wenn die Vorstellung und die Realisierung übereinstimmen, wenn das Werkstück rundum gelungen ist, bedeutet das natürlich ein besonders großes Vergnügen – das man allerdings nicht allzu häufig erlebt. Überraschungen sind häufiger: Gerade wenn etwas vermeintlich schiefgeht, entsteht oft erst Neues. Der gut geplante Weg, der unbeirrt zu Ende verfolgt wird, ist gar nicht immer der Königsweg. Erst wenn man etwas neu bedenken, verändern, vielleicht sogar zerstören muss, kann man über sich selbst hinauswachsen. Neues entsteht nur dadurch, dass man zulässt, nicht alles selbst zu steuern.

    Kunst braucht Publikum – braucht Kunst Publikum? 

    Natürlich zeige ich gern! Ich freue mich über die Gelegenheit zu Ausstellungen und zu Präsentationen im Internet und auf Messen. Dort kann mich jeder sehen, der mich sehen will. Aber meine Kunst hat vor allem Wert für mich. Daher sind meine Werke auch nur sehr selten verkäuflich.

    Und wie geht es weiter? 

    Ich hoffe, dass es noch lange weitergehen kann! In der künstlerischen Arbeit erfahre ich nicht nur tiefe Zufriedenheit, sondern auch, dass der kreative Prozess ungeheuer viel Energie braucht!

    Angedacht ist tatsächlich eine Ausstellung gemeinsam mit dem Wuppertaler Buchkünstler Roger Green über ein besonderes politisches Thema in der Buchkunst: „Holocaust-Art“ beschäftigt sich mit Illustrationen und Texten von Überlebenden, aber auch mit zeitgenössischer Kunst, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Dabei geht es darum zu zeigen, dass Erinnern auch ästhetisch sein darf! Wenn man das Erinnern nur auf den Schrecken der Geschichte verkürzt, missachtet man die Bedeutung der ästhetischen Gestaltung, die aber oft eine ganz eigene Wichtigkeit hat. Ein Beispiel ist das Buch von Bernard Aldebert „Chemin de croix en 50 stations – de Compiègne à Gusen II en passant par Buchenwald, Mauthausen, Gusen I“.

    Die handbemalten Leinendeckel sind mit einer Schusterraspel geprägt und mit einem Hammer traktiert worden, um den Versuch der Zerstörung im KZ auch haptisch erfahrbar zu machen. Ein anderes Buch zu dieser Reihe ist „Chansonnier à Buchenwald. Chanoir“ von 1949. Auf dem steingrauen Lederdeckel habe ich ein stilisiertes Zitat aus einer Lithographie aus dem Buch übernommen, das den Schlafsaal eines KZ zeigt. Bei dieser Arbeit stellt sich die Frage nach der Wirkung ganz neu.

    ​Für ein sehr intensives Gespräch bedanke ich mich.
    Katja Gerlach

    Weitere Infos: http://www.antiquariat-peteribbetson.de

  • Interview mit Heike Bänsch – 09.04.2021

    Schauspielerin, Regisseurin und Dozentin

    Das Publikum des Alten Baumwolllagers wird sich erinnern an die Aufführung von „Paradiso“, die im vergangenen Oktober zu sehen war. Aber nicht nur die Bühne ist Heike Bänschs Wirkungsstätte, auch im Freilichtmuseum Lindlar lädt sie zu szenischen Führungen durch die Geschichte ein.

    Als Coachin arbeitet sie mit Menschen unterschiedlicher Berufssparten an Sprache und Auftreten. Theater machen heißt für sie nicht nur selbst schauspielern, sondern vor allem auch Ideen entwickeln, selbst Regie führen. Im Interview begegne ich einer Frau voller Energie, die noch viele kreative Seiten an sich und anderen entwickeln will – und das auch gerne zeigt!

    Erste Schritte – über welches Projekt sprechen wir heute? Und was war die Motivation zu diesem Vorhaben?

    ​Wir sprechen über die kurz vor der Uraufführung stehende multimediale Aufführung mit dem Titel Vibrationen. – Die Entstehungsgeschichte zu dem Stück liegt schon etwas zurück – historisch VOR Corona! Mich hat die Frage beschäftigt, inwieweit der Klang der Stimme schon Botschaft ist. Stimme ist Musik, Rhythmus – und wenn man, wie es so schön heißt, Musik auch ohne Worte versteht, wirkt dann der gesprochene Text auf der Bühne allein schon durch den Klang, die Melodie? Versteht man auch ohne Verstand der Wörter? Welche Emotionen und Schwingungen erreichen uns, bevor wir das Denken einschalten? Ich habe es ausprobiert – zunächst mit einem martialisch wirkenden, wortmächtigen Text aus Kleists Penthesilea. Zu dem von mir gesprochenen Text hat Meike Astor sich bewegen lassen, sie hat den Klang der Stimme intuitiv umgesetzt in Tanz. Dann hat Kristin Kunze sich in ihrer Rolle als Clownin den Vibrationen des gesprochenen Wortes ausgesetzt und dazu improvisiert.

    Es ging darum zu sehen, wie die angesprochenen Künstlerinnen sich in Schwingung versetzen lassen, einen neuen, körperlichen Ausdruck finden, ohne Inhalt und Sinn vermitteln zu wollen.

    Das NRW Künstlerstipendium gibt mir die Gelegenheit, diesen Vibrationen weiter nachzuspüren, sie auf die Bühne zu bringen. In Coronazeiten sind Vibrationen außerdem ein wunderbares Mittel, negative Energie nach außen zu tragen und loszuwerden! – Der Beginn der Proben fiel übrigens tatsächlich zusammen mit dem zweiten Lockdown im November, so dass der erste Austausch digital stattfand. So haben wir zusammengetragen, wie jede und jeder von uns auf das Zeitgeschehen reagiert, haben in Resonanz auf die Beiträge der anderen zu immer dichteren Vibrationen gefunden. Klar war auch, dass eine mögliche Aufführung nicht nur analog, sondern auch digital geplant sein muss – Corona lässt nur weit offene Pläne zu!

    Gab es von Anfang an ein Ziel? Oder ist der Weg das Ziel?

    Die beeindruckende Entwicklung unserer gemeinsamen Arbeit von November bis Mai ist ein Schatz an sich! Allein der sich gestaltende Aufbruch zu einer gemeinsamen Truppe war voller Überraschungen. Jetzt arbeiten wir mit Kreativen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen: Meike Astor bringt Körperausdruck auf die Bühne, Volker Wurth Tanz, Nico Walser und Philipp Astor Musik, Kai Mönnich Film, Kristin Kunze und ich selbst Schauspiel. Unser gemeinsamer Weg hat aber durchaus ein Ziel: Wir wollen uns zeigen! Wir freuen uns auf die Aufführung!

    Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg?

    Alle haben JA gesagt! Meine Idee wurde angenommen! Die Halle 32 hat uns die Türen für Proben geöffnet! Die Presse kam! Gerade in einer Zeit, in der negative Nachrichten überwiegen, bin ich dankbar und glücklich über so viel erlebte und geteilte Freude. Man darf unter allen Umständen darauf vertrauen, dass die Sendung, das, was man mitteilen möchte, ankommt und einen Raum findet.

    Kunst braucht Publikum. Welchen Raum nimmt dieser Gedanke ein?

    Unsere Aufführung erzählt keine Geschichte, sondern ist eine Entdeckungsreise über das Empfinden in dieser besonderen Zeit. Künstlerinnen und Künstler zeigen, wie sie in Schwingung versetzt werden. Jeder künstlerische Ausdruck füllt seinen eigenen Raum, spricht andere Sinne an, weckt andere Resonanzen.

    Das Publikum ist eingeladen, mitzuschwingen! Lasst euch berühren! Seid bewegt!


    Welche Begegnung war besonders prägend und hat vielleicht gar das zuerst angepeilte Ziel verändert?

    Meine erste Idee war, das gesamte Stück in den digitalen Raum zu verlegen. Aber dann traf ich auf Menschen, die so gar nicht in diesen Raum passten, sich dort nicht so zeigen konnten, wie es ihren Möglichkeiten angemessen ist! Ganz wichtig war aber, jeden Einzelnen mitzunehmen, ihn – oder sie – nicht einzuengen und auszuschließen, sondern den Blick auf neue Gestaltung zu weiten.

    Also musste der Rahmen geändert werden: Es entstand ein Zusammenspiel von analoger und digitaler Welt. Wir mussten Räume finden, wo vorher keine Räume waren.

    Und wie geht es weiter?

    Wir fiebern der ersten Durchlaufprobe des nun entstandenen Stücks entgegen! Was zeigt sich? Was muss vielleicht noch verändert werden? Und dann: Wo werden wir aufführen? Wie werden wir zu sehen sein? Zunächst nur digital im Livestream? Irgendwann mit Publikum? Wir vibrieren in Resonanz auf das Zeitgeschehen. Überraschenden Wendungen begegnen wir und finden unsere Ausdrucksmöglichkeiten.  Mehr Zeitgeist geht nicht!

    ​Vielen Dank für das Gespräch!
    Katja Gerlach


    Interesse geweckt? Hier gibt es noch mehr Ideen!

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    kontakt@heikebaensch.de

  • Interview mit Detlef Weigand – 19.03.2021

    Über welches Projekt sprechen wir heute?

    Angestoßen von Ereignissen um mich herum, arbeite ich eigentlich immer an mehreren Projekten gleichzeitig. In meiner Kunst begegnen sich Umstände, über die man sich ereifern, gegen die man antreten muss, meine wütende Kritik einerseits und mein Vergnügen an Humor und Blödelei andererseits. Beides zusammen begründet letztlich auch Hoffnung auf Veränderung. – Das vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt „Mea Donna“, an dem auch Manuele mitgewirkt hat, ist nach wie vor aktuell und wird auch weitergeführt.

    Gab es von Anfang an ein Ziel?
    Oder wurde der Weg zur wichtigsten Überraschung?

    „Mea Donna“ thematisiert den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Die Bilder sind im Grunde verfremdetes pornographisches Material mit dem Hinweis auf das Thema, mit dem sich die Kirche auseinandersetzen muss. Dass wir die Ausstellung in der St.Thomae Kirche in Soest zeigen konnten und dazu noch die volle Unterstützung des Geistlichen bekommen haben, war eine Bestätigung, mit der nicht unbedingt zu rechnen war. Meine Kunst ist keine Wohlfühlkunst. Sie bedient zwar ästhetische Erwartungen auf den ersten Blick, aber nur, um dann umso heftiger Wirkung zu entfalten – ein „smash in the face“! – Umso mehr freut es mich, wenn die Einladung zur Auseinandersetzung aufgenommen wird – durch Ablehnung und Kritik einerseits, durch Anerkennung und Begreifen andererseits. Als Mary Bauermeister mein „Follow the Gottgeruch“ ohne eine Sekunde zu zögern erwarb, es dann dem Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen als Leihgabe übergab, war ich über diese Anerkennung und Aufmerksamkeit sehr erfreut. Solche Wegmarken kann man nicht planen, aber sie sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Ziel: Lasst euch berühren! Seid angefasst! Setzt euch auseinander!

    Worin liegt die größte persönliche Zufriedenheit auf dem Weg?

    Im kreativen Prozess ist es mir wichtig, mich nicht selbst zu zensieren. Wenn das gelingt, wenn ich mich ganz diesem Schaffen hingeben kann, erlebe ich eine Erweiterung meiner Selbst. Ich kann über mich hinausgehen in einem Maße, das vorher nicht abzusehen war. Das wiederum spüre nicht nur ich, sondern auch der Betrachter – etwa bei dem Bild „Follow the Gottgeruch“. Ich habe beide Hände in zwei Liter leicht geronnenem Ochsenblut gebadet, habe die Madonna zwischen diese blutverschmierten Hände genommen und bin hinsinkend an der Leinwand heruntergerutscht – noch mehr: ich bin beinahe in dieses Bild hineingefallen. Diese Dynamik atmet das ganze Werk aus!

    Natürlich offenbart ein kreativer Prozess die ganze Fülle der Emotionen und Themen, die sich in dem Künstler verbergen. Die „Dadaistische Volkskunst“ ist beispielsweise schon vor Corona entstanden, aber in der letzten Zeit habe ich da noch intensiver gearbeitet. Im Lockdown habe ich mich zu kleineren Formaten hingezogen gefühlt, die eher ein Ausdruck von Spontaneität sind und durchaus eher in Humor enden. So ist eine ganze Reihe von mit Assemblagen verfremdeten Kotztüten von AirBerlin entstanden, die beispielsweise das Drama ums Klopapier thematisieren – und die sich zu meiner größten Zufriedenheit auch in Coronazeiten übers Netz gut verkaufen lassen!

    Was prägt deine Beziehung zu deinem Publikum?

    Meine Kunst will nicht gefallen, sondern fordert Auseinandersetzung! Dabei geht es mir durchaus nicht nur um Krawall oder Provokation – ich will Aufmerksamkeit für ein Thema! Es überrascht mich immer wieder, mit wie viel Emotion das Publikum auf meine Arbeit reagiert. Das reicht von blanker Ablehnung bis hin zu großer Betroffenheit, die im Betrachter oft zutiefst Persönliches auslöst. Meine Assemblagen sind nicht im klassischen Sinne schön, erreichen aber jeden auf eine ganz eigene Weise.  Sie sind wahre Assoziationsschleudern für den Betrachter!

    Gibt es prägende Ereignisse, die Einfluss auf deinen Weg genommen haben?

    Die Zeiten ändern sich, der Weigand bleibt! Wichtig ist es, authentisch zu bleiben. Zeitkritik und Humor bleiben Konstanten, das Format ändert sich. Corona fordert neue Wege von den Kunstschaffenden, damit sie einerseits weiter im kreativen Prozess bleiben und andererseits weiter verkaufen können! So habe ich mich in der letzten Zeit vielfach mit kleinen Formaten beschäftigt.

    ​Und die nächsten Schritte?

    Das begonnene Förderprojekt „Mea Donna“ wird weiter verfolgt. Hier wie bei allen anderen Projekten geht es immer ums Ganze, um existenzielle Themen. Die Menschen sind mir immer ein Rätsel – und ich mir selbst auch! Dadurch gehen mir nie die Themen aus.

    Hier gibt es mehr zu sehen von Detlev Weigand

    detlev.weigand07@web.de

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    https://www.facebook.com/Oberstaatskuenstler

    https://www.facebook.com/MEA-Donna-127059640753748

  • Interview mit Manuele Klein  – 19.03.2021

    Erste Schritte:
    Über welches Projekt sprechen wir heute?

    Im vergangenen Jahr habe ich die Bühnenbilder für die Aufführung des „Golem“ auf der Bühne des Bensberger Puppenpavillons von Gerd Pohl überreicht. Bis heute konnte die Aufführung wegen der Schließung des Theaters nicht aufgeführt werden. Corona hat das kulturelle Leben schwer getroffen, betrifft uns alle. Vorgewarnt waren wir seit langem – unternommen worden ist wenig, um ein solches Ereignis abzuwenden oder abzumildern. Wir haben nicht aufgepasst! Dieses Gefühl habe ich nicht nur im Angesicht der Pandemie, sondern auch, wenn ich aus dem Fenster schaue. Der Wald schwindet zusehends, ein schleichender Prozess, der vor Jahren begonnen hat und uns jetzt deutlich vor Augen steht! Mit diesem Verschwinden unserer Landschaft beschäftige ich mich in dem Projekt NUR N(AT)UR NUR.

    Gab es von Anfang an ein Ziel am Ende des Wegs,
    war der Weg der Auftrag?

    Mein künstlerischer Beitrag steht für das notwendige Handeln aller: Ich kann mit meinen Mitteln hinweisen auf das Verschwinden des Waldes, der Natur. Mein Werk kann der stellvertretende Aufschrei des Entsetzens über den Zustand unserer Umwelt sein. So geht es nicht weiter!

    Schwarz-Weiß-Fotografien auf Papier mit Trauerrand zeigen die Reste des Waldes, das, was noch übriggeblieben ist. Die Fotografien mussten nicht bearbeitet werden, die Realität ist eindringlich genug. Die Einfassung als Trauerbrief macht deutlich, dass wir an der Schwelle von Abschied und der Suche nach einem Neubeginn, aufbauend auf der Erinnerung, sich öffnend für neue Wege, sind. Sowohl auf den Fotoarbeiten als auch in großformatigen Gemälden spielt das lichte Weiß eine bedeutende Rolle. Es gibt Hoffnung! Es gibt Zukunft – aber wir müssen sie gestalten, wir müssen dafür arbeiten! – Besonders gut sieht man das an den Skulpturen, in denen aufgesammelte Holzscheite, zerfetzt von Kettensägen, gekittet mit Glasscherben, bearbeitet mit Acryl und Lack zu neuem Leben erwachen: die Holzreste werden zu einer apokalyptischen Kulisse für spielerisch agierende Menschlein, die sich in dieser neuen Realität einrichten.

    Welche Erfahrung hat dich auf dem Weg persönlich am meisten beeindruckt?

    Als Künstlerin hat mich wieder einmal die Energie beeindruckt, mit der die Kunst selbst auf mich einwirkt: die Kreativität hält mich über Wasser! Ich erlebe die Kunst als schöpferischen Prozess, bei dem auch die Vergänglichkeit den Anstoß geben kann für den schöpferischen Umgang mit dem, was übrig bleibt.

    Was ist deine wichtigste Botschaft an das Publikum?

    Genau das will ich weitergeben: Seht hin! Erkennt die Notwendigkeit des Handelns! Aber eben auch: in allem Untergang setzt sich letztlich das Licht durch. Es gibt neue Wege, die wir aber erschließen müssen, für die wir arbeiten müssen. Dabei sollten wir uns aber unserer Grenzen bewusst sein: Der Mensch ist nicht der Meister über die Natur, er muss nicht meinen, immerzu eingreifen zu müssen. Die Natur ist nicht unser Wohnzimmer, das wir aufräumen müssen. Gerodete Flächen erschaffen sich aus natürlicher Weisheit neu!

    Welches Ereignis ist besonders prägend für deine Arbeit?

    Zu meinem Verständnis von Kunst als Beitrag zur öffentlichen Diskussion gehört Austausch. Corona hat diese Lebendigkeit unterbrochen. Das fehlt! Ausstellungen und Theater warten auf Publikum, auf gemeinsames Bewegtwerden und Bewegen!

    Und was sind die nächsten Schritte?

    Ich warte mit allen zusammen darauf, dass die Türen wieder aufgehen. Ich freue mich darauf, nicht nur einzelne Aspekte, sondern das ganze Projekt NUR N(AT)UR NUR mit allen Fotografien, Skulpturen und Malereien zeigen zu können!

    ​​Neugierig geworden!?

    Hier sind die Kontaktdaten von Manuele Klein

    manueleklein@t-online.de

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